030 - Die Teufelshexe
vorgestern abend vermißt wurde, befindet sich augenblicklich im Städtischen Krankenhaus zur Untersuchung. Es besteht der Verdacht, daß sie einen Schock erlitten hat oder aus einem Schuldbewußtsein heraus — möglicherweise hat sie unmittelbar mit dem Mord an ihrem Onkel zu tun — hartnäckig schweigt, um sich nicht zu belasten.«
»So ein ausgemachter Unfug«, schimpfte Professor Bernhardi. »Ich kenne die Gundula. War ein paarmal mit Stanek hier. Die kann keiner Fliege was zuleide tun. Und was man Paul Stanek angetan hat — damit hat sie nichts zu tun. Diana, du fährst hin.«
Diana blickte zerstreut auf. »Wohin?«
»Zum Städtischen Krankenhaus natürlich. Du wirst den Leuten erzählen, daß die Kleine keine Mörderin ist, verstanden?«
»Meinst du, das finden sie nicht selbst heraus?«
»Nein!« rief der Professor ärgerlich. »Ein Kind zu verdächtigen, daß es so eine grauenvolle Tat begangen hat...«
»Sollte man nicht lieber unsere Dienststelle verständigen, daß Sie sich für das Kind einsetzen, Herr Professor?« schlug Kitty vor.
»Ich habe mit der Polizei nicht viel im Sinn«, bellte der Professor. »Die Kleine als Mitwisserin oder Mittäterin zu verdächtigen! Es ist völlig idiotisch. Nein, du holst das Kind her, Diana.«
»Was?« riefen Martha und Kitty wie aus einem Mund. »In dieses Haus, Professor?«
»Ich habe nur dieses«, gab er giftig zurück.
»Herr Professor«, sagte Martha energisch, »ich vermute, daß Gundula die Tat beobachtet hat und völlig verwirrt durch die Gegend gelaufen ist, bis man sie auffand. Möglicherweise hat ihr Erlebnis böse Folgen für ihr ganzes Leben. Sie kennt vermutlich den Täter, hat ihn genau gesehen. Und warum sitzen wir in diesem Haus? Weil wir glauben, daß der Killer Sie als nächstes Opfer ausersehen hat. Wollen Sie Gundula dem Täter von neuem gegenüberstellen? Sie könnte endgültig den Verstand verlieren.«
»Was Sie sich so alles ausdenken«, sagte der Professor. »Lauter Humbug, durch nichts begründet. Ich habe große Lust, mich bei Ihren Vorgesetzten über Sie zu beschweren, meine Damen. Eine Nacht dürfen Sie noch hierbleiben, morgen früh verschwinden Sie hier.«
»Professor, wir meinen’s doch nur gut.«
»Ich pfeif’ auf Ihre gutgemeinten Ratschläge. Mir kann hier in diesem Haus nichts passieren, basta. Wenn abends die Türen und Fenster Verriegelt sind, ist dieses Haus wie eine uneinnehmbare Festung.«
»Abends?« fragte Kitty mit hoher Stimme. »Professor, Vanstraaten wurde bei Tag umgebracht — auch Liesa Griesewald mitten am Vormittag. Das Monster beschränkt sich nicht nur auf die dunkle Nacht. Es schlägt immer zu — zu jeder Stunde.«
»Mein Entschluß gilt«, erwiderte der Professor eigensinnig, »du fährst gleich zu der Kleinen, Diana, denn außer uns hat sie niemanden mehr. Ich möchte jetzt endlich wieder meine Ruhe haben und mich nicht mehr streiten. Drei Weiber im Haus, das ist ja gräßlich...«
Er schlurfte aus dem Zimmer.
Die Mädchen drehten sich zu Diana um.
»Werden Sie die Kleine herbringen, Diana?«
Die blonde Frau war sehr blaß. »Ich muß gehen. Papa würde es mir nie verzeihen, wenn ich aus Angst seine Bitte abschlagen würde.«
»Sie sollen ja auch gehen«, äußerte sich Martha sanft. »Aber Sie müssen dafür sorgen, daß die Kleine unter keinen Umständen mit Ihnen in dieses Haus kommt. Sie wissen, warum.«
»Sie rechnen bald mit dem Überfall des Monsters auf meinen Vater?« zweifelte Diana.
»Sehr bald, vielleicht sogar schon jetzt, tagsüber«, bestätigte Kitty. »Das Monster hat zwischen den verschiedenen Morden immer etwa vierundzwanzig Stunden Pause gemacht. Jetzt aber sind schon über sechsunddreißig Stunden vergangen. Wir rechnen jede Minute mit seinem Erscheinen.«
»Gut, ich fahre«, sagte Diana. Sie war eine zarte, zerbrechlich wirkende Frau und wirkte plötzlich sehr schutzbedürftig. »Aber passen Sie auf Papa auf, bitte. Lassen Sie ihn keine Sekunde lang aus den Augen.«
»Deshalb sind wir ja da, Diana«, murmelte Martha.
***
Lothar Griesewald ging die Straße entlang. Er war geistesabwesend. Erst vor zwei Stunden hatte er das Polizeipräsidium nach einer neuerlichen Zeugenvernehmung verlassen. Er konnte den Beamten auch nicht mehr sagen, als er ihnen ohnehin schon erzählt hatte.
Ob diese Frau in Schwarz mit dem Schleier irgendwelche besonderen Merkmale gehabt hätte, hatte man ihn mehrmals gefragt.
Er konnte sich noch genau an die Stimme der Fremden erinnern.
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