030 - Hexensabbat
zusammen. Ich hatte keine Lust zu warten, bis sie erwachte, sondern kehrte zurück in den Speisesaal. »Sie kommt gleich«, sagte ich knapp und setzte mich wieder.
Vera versuchte möglichst unbefangen zu wirken, als sie endlich erschien. Aber das gelang ihr nur teilweise. Sie konnte es nicht lassen, mir böse Blicke zuzuwerfen. In der Gegenwart meines Onkels war ich sicher, doch sobald er außer Sichtweite war, würde sie sich ganz bestimmt revanchieren.
Meine Befürchtungen bewahrheiteten sich jedoch vorerst nicht. Vera ignorierte mich in der nächsten Zeit einfach.
Den folgenden Vormittag hatte ich mit ihr zusammen den Unterricht bei Sandra Thornton verbracht. Die Hexe war über meine Wandlung mehr als überrascht. Sie konnte kaum fassen, wie eifrig und wißbegierig ich plötzlich war.
Nach dem Mittagessen blieb ich vor der Tür stehen und versuchte etwas von der Unterhaltung zwischen meinem Onkel und Sandra aufzuschnappen.
»Dieser Pietro ist ein hoffnungsloser Fall«, brummte Behemoth. »Einfach ohne Talent. Aber was kann man schon von einem Vampir erwarten? Er stellt sich dazu noch außerordentlich dumm an und begreift nicht einmal die simpelsten Grundsätze. Wohin soll das alles führen? Der Nachwuchs wird immer schlechter. Die Kinder verlieren ihre Fähigkeiten. In ein paar hundert Jahren werden sie alle zu normalen Menschen geworden sein, wenn nicht eine grundlegende Änderung eintritt. Macht Coco Fortschritte, Sandra?«
»Das kann man wohl sagen. Ich habe genügend Hexen ausgebildet, um sofort zu erkennen, daß ich mit Coco ein echtes Talent vor mir habe. Coco ist befähigt, eine große Hexe zu werden, während Vera nie mehr als guter Durchschnitt sein wird. Wenn Coco ernsthaft an sich arbeitet, hat sie mich in wenigen Wochen überflügelt.«
»Das höre ich gern«, sagte mein Onkel zufrieden. »Aber weshalb machst du so ein skeptisches Gesicht?«
»Sie hat Fähigkeiten, die die meinen weit übertreffen, doch sie ist zu sanft. Sie paßt so gar nicht in die Familie.«
»Das wird sich ändern«, sagte mein Onkel zuversichtlich. »Du mußt Geduld mir ihr haben.«
Sandra seufzte. »Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig.«
Ich hatte genug gehört und zog mich geräuschlos auf mein Zimmer zurück. In meinem Lehrbuch suchte ich nach einer Stelle, in der beschrieben wurde, wie eine Hexe der Wirkung eines silbernen Kreuzes für einige Zeit entgehen konnte.
Ich steckte mein ganzes Geld ein und verließ das Schloß.
Eine Stunde später saß ich am Seeufer und wartete auf Rupert Schwinger. Es war heiß, und ich bedauerte, keinen Badeanzug mitgenommen zu haben. Dem Gezwitscher der Vögel lauschend, starrte ich über den See. Ein Fisch schnappte nach einer Fliege und klatschte auf die Wasseroberfläche zurück. Es war alles so friedlich und harmonisch.
Immer wieder schaute ich mich suchend um. Aber Rupert ließ auf sich warten.
Dann endlich vernahm ich Schritte und sah ihn zwischen den Büschen hervortreten. Er trug verbeulte Jeans und ein dunkelrotes Hemd, dessen Ärmel er aufgekrempelt hatte. Lächelnd kam er näher.
»Hallo, Rupert!« begrüßte ich ihn und scharrte verlegen mit dem rechten Fuß. Mein Puls schlug wie verrückt, und ich senkte den Blick.
»Setzen wir uns«, sagte Rupert und legte einen Arm um meine Schulter, so daß ich zusammenzuckte. Dabei hatte ich gar nichts dagegen, sondern genoß die Nähe seines Körpers.
»Hast du Vera gesehen?« fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ich verspüre auch kein besonderes Verlangen danach«, sagte er grinsend.
»Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte ich leise, griff in meine Rocktasche und holte eine kleine Schachtel heraus. »Hoffentlich gefällt es dir.«
Er öffnete die Box, und ich unterdrückte nur mit Mühe einen Schmerzensschrei. Die hochstehende Sonne ließ das silberne Kreuz an der dicken Kette funkeln. Es war einfach ausgeführt und recht groß, so daß es fast ein wenig klobig wirkte.
»Gefällt es dir?« fragte ich, mich mühsam beherrschend.
»Ja. Sehr sogar. Aber ich kann es nicht annehmen. Es war sicherlich teuer. Nein, ich …«
»Bitte!« sagte ich, denn ich hatte mein ganzes Geld für dieses Kreuz ausgegeben. Unten im Dorf hatte ich es in einem Juweliergeschäft gekauft. Wenn er es nicht annahm, war alles umsonst gewesen.
»Du mußt es immer tragen.«
»In Ordnung. Ich werde es immer tragen«, wiederholte er ernst und legte sich die Kette um den Hals. Dann griff er nach meiner rechten Hand. »Dafür bekommst du
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