030 - Hexensabbat
einen Kuß.« Er beugte sich vor, und sein Mund näherte sich langsam dem meinen. Es war ein unschuldiger Kuß, nicht mehr als das Aneinanderpressen der Lippen, doch für mich bedeutete es ungleich mehr – es war der schönste Augenblick meines bisherigen Lebens!
Ich lächelte glücklich, und Rupert küßte mich erneut. Diesmal nahm er mich fester in die Arme, und der Kuß fiel nicht so unschuldig aus wie der erste. Ich befreite mich nach einiger Zeit aus Ruperts Umarmung und rang nach Atem. Seine Augen schienen von innen her zu leuchten. Doch plötzlich vernahm ich hinter mir ein spöttisches Lachen, und die friedliche, glückliche Stimmung zerbrach.
Ich wandte blitzschnell den Kopf. Meine Schwester Vera und Pietro Salvatori standen wenige Meter entfernt und hatten uns sicherlich die ganze Zeit über beobachtet.
Ich sprang auf. »Lauf, Rupert!« befahl ich ihm.
Doch er hörte nicht auf mich. Statt dessen schob er das Kreuz unter sein Hemd und stand langsam auf.
»Jetzt bekommt der ungezogene Bengel seinen Denkzettel«, sagte Vera böse und trat auf ihn zu. Pietro Salvatori folgte ihr langsam. Sein bleiches Gesicht hatte sich zu einer bösartigen Grimasse verzogen.
»Was hast du vor, Vera?« fragte ich bebend.
»Das wird Rupert schon merken.« Vera grinste böse. »Pietro wird mir gern helfen.«
»Rasch, Rupert!« schrie ich. »Flieh! Sie will …«
»Halt den Mund!« fauchte Vera. »Mit dir rechne ich auch noch ab! So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Pietro, pack ihn!«
Der Vampir sprang los. Er zog die Lippen zurück, und sein kräftiges Gebiß kam zum Vorschein. Aus dem Oberkiefer wuchsen zwei gewaltige Zähne, die immer länger wurden. Mit drei Sprüngen stand Pietro vor Rupert und griff nach seinen Schultern. Der Junge ballte die rechte Faust und schlug nach Pietros Gesicht, doch der Vampir packte Rupert einfach nur brutal an der Brust und warf ihn zu Boden. Gierig beugte er sich über seine Kehle.
»Das Kreuz, Rupert!« brüllte ich. »Halte ihm das Kreuz hin!«
Bevor Pietro zubeißen konnte, riß sich Rupert das Hemd auf, und das silberne Kreuz funkelte in der Sonne. Der Vampir stieß einen gellenden Schrei aus und fuhr zurück. Er brüllte wie von Sinnen und schlug sich die Hände vors Gesicht.
»Drücke ihm das Kreuz auf die Stirn!« wies ich Rupert an.
Der Junge gehorchte, und gleich darauf wand sich Pietro in Krämpfen am Boden. Er stieß winselnde Laute aus und versuchte, das Kreuz fortzuschleudern, ohne länger mit ihm in Kontakt zu kommen. In diesem Augenblick griff Vera ein, die einige Augenblicke von der Ausstrahlung des Kreuzes überwältigt worden war. Sie sagte einen Zauberspruch auf, und Rupert erstarrte mitten in der Bewegung. Pietro war ohnmächtig zusammengebrochen.
Dann konzentrierte sich Vera auf mich. Ich bekam einen gewaltigen Stoß gegen die Brust, stolperte über eine aus dem Boden herausragende Wurzel und flog rücklings in den See. Unsichtbare, kräftige Hände drückten meinen Kopf ins dunkle Wasser. Ich wehrte mich verzweifelt, doch gegen die Kräfte meiner Schwester kam ich nicht so einfach an.
Ich mußte mich konzentrieren! Also versuchte ich meine Angst und Aufregung zu unterdrücken, hielt die Luft an und stellte jede Gegenwehr ein. Vera ließ mich mehr als eine halbe Minute unter Wasser, dann löste sie ihren Zauber und wandte sich Rupert zu. Vielleicht glaubte sie, daß ihr von mir keine Gefahr mehr drohte. So bemerkte sie nicht, wie ich hinter ihr den Kopf aus dem Wasser streckte – gerade rechtzeitig, um mitzuverfolgen, wie sie Rupert durch einige Handbewegungen und eine Beschwörungsformel aus seiner Erstarrung weckte. Wie eine Marionette stapfte er auf den See zu. Kurze Zeit später verschwanden seine Füße im Wasser, dann seine Knie und seine Hüften. Er ließ sich nicht davon beirren, sondern ging immer weiter hinein.
Ich spielte die Bewußtlose und schwamm völlig entspannt auf dem Rücken. Einen Fehler konnte ich mir nicht leisten, sonst war Rupert verloren. Meine Schwester wollte ihn einfach ertrinken lassen.
Und dann gelang es mir! Urplötzlich schien die Zeit stehenzubleiben. Ich richtete mich rasch auf und watete aus dem Wasser. Neben Vera blieb ich stehen, bewegte meine Hände und ließ sie ohnmächtig zusammenbrechen. Dann fiel ich in die normale Zeitebene zurück.
Rupert aber ging immer noch stur voran. Das Wasser reichte ihm jetzt bis zum Hals. Ohne zu zögern, sprang ich ihm hinterher, packte ihn an den Schultern und zog ihn zum
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