030 - Hexensabbat
Ort selbst finden. Ein Fluchtversuch war ohnehin unmöglich; er hätte nur alles schlimmer gemacht. Ich wußte, daß ich beobachtet wurde; jede meiner Bewegungen wurde von unsichtbaren Augen registriert.
Die Straße wurde von den wenigen Laternen nur schwach erhellt. Ein heftiger Wind zerrte an meinem langen Haar, das wie ein Schleier hinter mir herwehte. Weit vor mir erblickte ich für einen winzigen Augenblick ein grünes Licht. Ich ging die Ratmannsdorfgasse entlang und bog in die Veitingergasse ein. Im Lainzer Tiergarten also sollte der Sabbat stattfinden! Er war im 18. Jahrhundert mit einem vierundzwanzig Kilometer langen Mauergürtel umgeben worden. Während der Kaiserzeit hatte er den hohen Herrschaften als Jagdrevier gedient.
Von den magischen Zeichen geleitet, kam ich am St. Veiter Friedhof vorüber. Meist waren es Lichter, die für einen Augenblick aufflammten, doch auch unheimliche Geräusche wiesen mir den Weg. Kein Mensch begegnete mir. Der Wind wurde stärker und rüttelte an den Bäumen. Ihre Äste schienen nach mir greifen zu wollen, und des öfteren sprang ich furchterfüllt zur Seite, wenn mich der trockene Zweig einer Buche berührte.
Je näher ich dem Tiergarten kam, desto schrecklicher wurde das Heulen und Sausen. Ich verringerte mein Gewicht mittels eines Zauberspruches, und so bereitete es mir keine große Mühe, die Mauer zu überklettern. Es war so dunkel, daß ich nicht einmal die Hand vor den Augen sehen konnte. Der Himmel war bedeckt, und es begann zu regnen.
Ich ging zielstrebig weiter. Der Wald, in dem ich mich befand, schien endlos zu sein. Auf einer Lichtung blieb ich stehen. Der Himmel riß auf, und der hochstehende Mond kam zum Vorschein. Ich überquerte die Lichtung und betrat abermals einen Wald. Nach einiger Zeit fiel mir die absolute Stille auf. Nicht einmal das Geräusch meiner Schritte war zu hören; es war, als würde der Wald den Atem anhalten.
Da lag plötzlich, halb zwischen Baumstämmen verborgen, ein kleiner Hügel vor mir. Er war von gewaltigen Monolithen eingegrenzt, in deren Oberfläche magische Symbole eingemeißelt worden waren.
Ich blieb stehen und preßte die Hände gegen meine Brust. Die unwirkliche Stille war beängstigend. Als ich weiterging, schien der Mond plötzlich aufzuleuchten und den Hügel mit seinem silbrigen Licht zu überschütten.
Hier würde der Hexensabbat stattfinden; hier würde ich meine Weihe empfangen, die mich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie machte. Eine Wolke schob sich vor den Mond und schien die Strahlen zu bündeln. Ein schmaler Lichtstreifen tastete sich über den Boden und wanderte langsam den Hügel hinauf.
Ich hielt den Atem an. Vor mir stand ein riesiger schwarzer Opferstein, auf dem eine reglose Gestalt lag. Ich unterdrückte mit Mühe einen Aufschrei. Vor mir lag Rupert Schwinger. Er bewegte sich nicht, doch seine Brust hob und senkte sich regelmäßig.
Ich versuchte, mich zu beherrschen. Nur mein rascher Atem zeigte meine Erregung. Blitzschnell drehte ich mich um, doch noch war keine Ausstrahlung der Dämonen zu spüren. Aber ich war sicher, daß ich nicht mehr allzu lange allein bleiben würde.
Ich wußte, wer Rupert hergebracht hatte. Es konnte nur mein Patenonkel gewesen sein. Und ich ahnte, daß Rupert geopfert werden sollte. Wahrscheinlich würde man von mir verlangen, daß ich ihn tötete.
Ich muß ihn retten , dachte ich und suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Mir blieb nur noch wenig Zeit.
Und dann hatte ich die Lösung!
Ich ließ die Zeit stillstehen und konzentrierte mich auf Rupert. Meine Gedanken drangen in sein Hirn und weckten ihn auf. Ich trat einen Schritt näher und riß ihn auf magische Weise an mich. Meine Hände schienen in seinen Körper einzudringen. Ich schuf ein Pseudowesen, das Rupert Schwinger wie aus dem Gesicht geschnitten schien, und hob den echten, halb bewußtlosen Rupert auf, um mit ihm davonzulaufen. Unter einem Baum legte ich ihn auf den Boden, kniete nieder und murmelte einige Beschwörungen. Es dauerte nur wenige Sekunden, und ich hatte ihn in meinen Bann gebracht. Ich erteilte ihm einige Befehle, und er stand auf und ging mit leerem Blick weiter in den Wald hinein.
Damit war er fürs erste in Sicherheit. Keiner der Dämonen konnte ihm für die nächsten Stunden etwas anhaben.
Ich kehrte zum Opferstein zurück. Dabei wußte ich selbst nicht einmal, wie lange ich die Dämonen mit diesem Pseudo-Rupert täuschen konnte. Es war der Mut der Verzweiflung, mit dem
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