030 - Hexensabbat
dichter wurde der Verkehr. Ich sah mich fasziniert um. Es kam mir vor, als wäre ich in eine andere Welt versetzt worden. Ich war den Anblick der vielen Autos und Menschen nicht mehr gewohnt. Behemoth nahm den Weg durch weniger befahrene Gassen, und endlich erreichten wir die Ratmannsdorfgasse. Alles war noch so wie vor fünf Jahren, als ich das Haus meines Vaters verlassen hatte.
Mein Onkel hielt vor dem Gartentor an und stieg aus. Ich blieb noch einen Augenblick sitzen, dann öffnete ich die Wagentür und folgte ihm zögernd. Ich streckte mich, ging um den Wagen herum und blieb neben meinem Patenonkel stehen, der das Tor öffnete und in den Garten trat. Niemand kam uns zur Begrüßung entgegen. Die blühenden Sträucher, die den Weg säumten, bewegten sich im lauen Frühlingswind. Der Swimmingpool war mit Wasser gefüllt, das dunkelblau in der Sonne schimmerte. Als wir nur noch wenige Schritte von der Glasveranda entfernt waren, wurde die Tür geöffnet, und mein Vater trat heraus. Er drückte Behemoths Hand und musterte mich. Ich war scheu vor ihm stehengeblieben.
»Du bist ja eine richtige Schönheit geworden, Coco. Jetzt ist mir auch klar, weshalb Asmodi an dir Interesse zeigt. Kommt ins Haus!«
Er führte uns in das große Wohnzimmer, in dem einige andere Familienmitglieder versammelt waren, die mich eher reserviert betrachteten. Thekla Zamis, meine Mutter, war eine große Frau unbestimmbaren Alters. Ihr bleiches, wie aus Wachs geformtes Gesicht wurde von langem, weißem Haar umrahmt, das ihr glatt auf die Schultern fiel. Ihre zarten Züge paßten nicht zu den kalten, dunklen Augen.
Vera hatte sich nicht verändert. Sie sah noch immer wie ein unschuldiger Engel aus.
Demian und Volkart waren Zwillinge und zweiundzwanzig Jahre alt. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. Beide trugen langes, bronzefarbenes Haar und gewaltige Schnauzbärte, die ihre leicht gekrümmten Nasen betonten. Sie waren sogar gleich gekleidet, wie ich ein wenig verwundert bemerkte.
Ich setzte mich neben meine Schwester.
Drei meiner Geschwister fehlten: Georg, Adalmar und meine älteste Schwester Lydia. Wahrscheinlich trieben sie sich irgendwo in der Weltgeschichte herum und begingen ihre Untaten.
»Asmodi wird an dem Sabbat teilnehmen, der anläßlich von Cocos Weihe stattfindet«, sagte Cyrano von Behemoth. »Er will ein Kind mit ihr zeugen.«
Alle sahen mich an, und ich blickte verlegen zu Boden. Vera schaute ziemlich böse drein; wahrscheinlich war sie neidisch auf mich. Ich konnte mir vorstellen, wie sehr sie meine Bevorzugung wurmte.
»Wer hätte das gedacht! Unsere mißratene Schwester wird vom Herrn der Finsternis begehrt«, sagte Demian.
Als er den Blick unseres Vaters sah, senkte er schuldbewußt den Kopf. Michael Zamis schätzte es gar nicht, wenn eines seiner Kinder in seiner Gegenwart dumme Bemerkungen machte. Er herrschte wie ein Patriarch über unsere Familie, und jeder folgte widerspruchslos seinen Befehlen. Auflehnung duldete unser Vater nicht.
»Geht auf eure Zimmer!« sagte er. »Ich habe mit Cyrano noch einiges zu besprechen. Coco und Vera, hört mir zu. Ich weiß, daß ihr euch nicht vertragt, aber wenn ich euch dabei erwische, daß ihr euch gegenseitig etwas antut, setzt es ein Donnerwetter. Unterlaßt alle kindischen Scherze und versucht euch wenigstens einmal wie anständige Hexen aufzuführen! Verstanden?«
»Ja«, sagten wir gleichzeitig und verließen zusammen mit den Zwillingen das Wohnzimmer, um unsere eigenen Räume im ersten Stock aufzusuchen. Ich hatte mein altes Zimmer behalten. Die Fenster führten in den hinteren Teil des Gartens. Ich öffnete eines von ihnen und beobachtete eine Amsel, die im Gartenbeet herumstocherte.
Jetzt war ich also zu Hause. Doch rechte Freude wollte sich deshalb nicht einstellen. Gern hätte ich gewußt, was mein Patenonkel mit meinem Vater zu besprechen hatte. Aber ich wagte nicht, meine Fähigkeiten einzusetzen und zu lauschen, da ich fürchtete, daß mein Vater mich entdecken könnte.
Ich öffnete den Schrank und sah, daß meine Kleider bereits eingeräumt worden waren. Sofort suchte ich nach der kleinen Schatulle, in der sich Ruperts Haare befanden. Noch heute nacht wollte ich versuchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Behutsam legte ich die Schatulle zurück in den Schrank und setzte mich wieder ans Fenster. Die Sonnenstrahlen fielen auf mein Gesicht, und ich schloß zufrieden die Augen.
Zwei Stunden später wollte mich mein Vater sprechen. Er verbot mir, bis zum
Weitere Kostenlose Bücher