0302 - Der Unhold
noch steiler. Hinter der Kirche begann das, was unsere Führerin als Wald bezeichnet hatte. Ein paar Bäume Verloren sich in der Landschaft.
Claudia blieb stehen. »Hinter dem Wald beginnt der Friedhof«, erklärte sie.
»Wald ist gut.«
La Bandita hob die Schultern. »Wir sind bescheiden geworden. Zudem bewegen wir uns auf Vulkanboden. Der kann zwar fruchtbar sein, aber der Wald wird immer wieder vernichtet, wenn der Berg Feuer speit. Es ist eine karge Gegend, die Menschen, die hier oben leben, haben sich ihr angepasst.«
»Keine Gegend für Touristen«, bemerkte ich.
»Nein. Zudem liegt Pompeji in der anderen Richtung. Die Slums von Neapel interessieren keinen, und das ist auch gut so. Wir reagieren manchmal sehr böse, wenn Fremde sich in den Gassen verlaufen.«
»Darüber kann man auch in unseren Zeitungen lesen.«
Claudia blitzte mich an. »Glauben Sie das auch alles, was so geschrieben wird?«
»Das habe ich nicht behauptet.«
Wütend drehte sie sich um und ging weiter.
»Du solltest sie nicht noch weiter reizen!« flüsterte mir Suko ins Ohr. »Wir brauchen sie.«
»Okay, du hast recht.«
Die harten Zweige der Bäume streiften unsere Schultern, so dicht wuchsen sie an den Weg heran. Manchmal fuhren sie auch über meine Haare, und ich mußte den Kopf einziehen.
Der Untergrund änderte sich. Er wurde weicher, weil Nadeln den Boden bedeckten.
Unangefochten passierten wir den Wald, der uns mit seinem seltsamen Schweigen umgab. Nach einer Kurve sahen wir vor uns etwas Helleres schimmern.
Ein Licht war es nicht. Claudia Corelli blieb stehen, drehte sich um und gab die Erklärung. »Das ist bereits die Mauer des Friedhofs. Man hat sie erst vor drei Monaten frisch gekalkt.«
Es dauerte nicht mal eine Minute, bis wir die Mauer und auch das Eingangstor erreicht hatten. Claudia blieb neben uns stehen und deutete auf das schmiedeeiserne Gitter. »Abgeschlossen ist nie. Wir können die Tür aufdrücken.«
Das taten wir auch. Sie bestand aus zwei Flügeln, und La Bandita stieß den rechten der beiden nach innen. Die Angel waren angerostet, die quietschten, als sich das Tor bewegte. Als Innenmuster zeigte es einen Engel, der die Hand ausgestreckt hielt und einem Toten aus dem Grab half.
Unsere Schritte knirschten, als wir über Kiesboden gingen.
Rechts und links befanden sich die Gräber.
Da der Mond über uns stand, fiel auch sein Licht auf diesen kleinen Friedhof und gab dem Gelände einen unheimlichen Touch.
In seinem fahlen Licht konnten wir sogar Einzelheiten ausmachen.
So baufällig die Wohnungen der Menschen oft wirkten, dieser Friedhof zeigte uns das genaue Gegenteil. Man hatte sich bei den Gräbern Mühe gegeben, und auch keine Kosten gescheut. Jedes Grab wirkte gepflegt.
Normale Steine, wie wir sie von unseren Friedhöfen her kannten, entdeckten wir hier so gut wie nicht.
Jeder hatte eine andere Form.
Da gab es vor allen Dingen Engel in den unterschiedlichsten Variationen. Manche schwebten, andere standen, einige waren mit Schwertern bewaffnet, wieder andere hielten ein Kreuz in der Hand.
Die Gesichter waren glatt, doch in diesem seltsam schattenlosen Mondlicht wirkten sie sehr lebendig, als wollten sie uns zuwinken und den Besucher davor warnen, nur keinen Frevel zu begehen.
Im Hintergrund des Friedhofs glühten einige Lichter. Sie strahlten ein rotes Licht ab, aber auch das Licht heller Kerzen sah ich. Die Flammen wurden durch kleine Glasbehälter geschützt.
Die Stille des Todes bettete die Gräber ein. Kein Laut war zu hören, nur unsere Schritte durchbrachen die ungewöhnliche und beinahe andächtige Stille.
Natürlich waren wir gespannt. Wenn ich mir den Friedhof genauer anschaute, so kam ich zu der Überzeugung, daß es sich für ein Monster, wie wir es suchten, hervorragend als Versteck eignete.
Die Grabsteine boten genügend Platz, und es gab auch schattige Ecken und Winkel, wo es untertauchen konnte.
Als wir die Mitte des Friedhofs erreicht hatten, blieb Claudia stehen und schaute uns an. Dabei hob sie die Schultern. »Tut mir leid, es war wohl eine falsche Spur.«
»Das würde ich nicht sagen«, erwiderte Suko. »Der Friedhof ist groß genug. Er bietet zahlreiche Verstecke.«
La Bandita hob die Schultern, als würde sie frösteln. »Dann glauben Sie daran, daß wir den Unhold hier finden können?«
»Noch immer.«
Sie runzelte die Stirn. »Möglich«, sagte sie leise, bevor sie vorschlug, erst einmal zum Grab ihres Vaters zu gehen.
»Meinen Sie, daß er sich dort
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