0302 - Der Unhold
leise. »Die Suche wird nicht einfach sein. Sie überschattet sogar Ihre Existenz. All das, was Sie fühlen, reden und unternehmen ist nur auf die Suche konzentriert.«
»Stimmt.«
Die Frau fuhr fort. »Weiterhin gibt es in Ihrem Leben keine Frau, an die sie sich gebunden haben, denn Sie wollen diese nicht einer Gefahr aussetzen.«
»Da haben Sie ebenfalls recht.«
»Wusste ich. Für die Zukunft allerdings sehe ich schwarz, wirklich.«
»Welche Zukunft?«
»Die nahe.«
Mandra konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Diese gesamte »Sitzung« kam ihm wie eine Farce vor. Er glaubte nicht daran, daß die Frau aus seinen Handlinien die Zukunft lesen konnte. Die machte ihm hier etwas vor, da war sich Mandra sicher. Sie sprach zwar in Rätseln – das taten viele Hellseherinnen –, aber Mandra war dennoch davon überzeugt, daß sie mehr wußte, als sie zugeben wollte. Und zwar bezog sie dieses Wissen aus irgendeiner Quelle.
Vielleicht sogar steckte sie mit dem Monstrum unter einer Decke und wußte etwas über die noch verschwundenen fünf Dolche, denn zwei waren erst gefunden worden.
Mandras Hand zuckte. Er wollte sie zurücknehmen. Sehr schnell griff Rosa zu und hielt sie fest. »Nein, die Sitzung ist noch nicht beendet. Was ich mache, das mache ich ordentlich. Sie haben ein Recht darauf, mehr zu erfahren.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
Da lachte die alte Frau. »Das haben mir schon viele gesagt. Später wurden sie dann eines Besseren belehrt, und auch Ihnen wird es nicht anders ergehen.«
»Davon bin ich nicht überzeugt. Ich glaube allerdings eher, daß Sie Ihr Wissen aus ganz anderen Quellen beziehen.«
»Und welche meinen Sie?«
»Die Antwort müßten Sie mir geben können.«
»Gern. Ich stehe mit Mächten in Verbindung, die das Jenseits kontrollieren. Diese Geister beherrschen nicht nur die Gegenwart, sie können auch in die Zukunft schauen, und das übermitteln sie mir auch. Sie haben über das Schicksal jedes Menschen Buch geführt. Es gibt nur wenige Personen auf der Welt, denen sie sich offenbaren. Ich gehöre dazu. Und wenn ich Ihnen sage, daß die nahe Zukunft gefährlich aussieht, so stimmt das auch. Sie ist gefährlich, sogar sehr gefährlich. Ich kann für Ihr Leben nicht garantieren. Auch ein Kämpfer wie Sie ist einmal am Ende seines Lebensfadens angelangt. Viel Zeit bleibt Ihnen nicht mehr.« Nach diesen Worten lehnte sich die Frau zurück, und ihr Gesicht verschwand wieder im Schatten, als es aus dem Lichtkreis der Lampe geriet.
Mandra blieb steif sitzen. Er wollte seine Hand wieder zurückziehen, dagegen hatte Rosa etwas. »Nein, lassen Sie die noch liegen«, sagte sie mit leiser Stimme.
»Weshalb?«
»Ich bin noch nicht fertig. Es kommt etwas hinterher!«
Der Inder schaute Rosa sehr genau an. In ihrem Gesicht regte sich nichts. Sie hatte sich ausgezeichnet in der Gewalt, aber Mandra Korab traute dem Braten nicht.
»Einen Moment noch!« hauchte sie, lächelte dabei falsch und ließ die linke Hand unter dem Tisch und auch unter der an den Seiten herabhängenden Decke verschwinden.
Im nächsten Augenblick vernahm Mandra Korab ein Schaben. Es war entstanden, weil Rosa Beluzzi eine Schublade aufgezogen hatte. Mandra war gespannt, was sie hervorholen würde und drückte seinen Oberkörper ein wenig vor, damit er besser schauen konnte.
Dennoch wurde er überrascht.
Den Gegenstand, den Rosa der Schublade entnahm, kannte er verflixt gut.
Es war sein Dolch!
***
Wir hatten diesen Gassenwirrwarr zum Glück hinter uns gelassen und bewegten uns nun durch ein etwas freieres Gelände. An einer alten Kirche kamen wir in dem Augenblick vorbei, als die kleine Glocke im Turm einmal schlug.
Der Klang hörte sich dünn an. Er war mit dem einer Totenglocke zu vergleichen, und er paßte irgendwie in die Umgebung.
Licht gab es so gut wie nicht. Allein hätten wir uns verlaufen, aber Claudia kannte hier jeden Flecken und war eine ausgezeichnete Führerin.
Die Kirche war an einen Hang gebaut worden. Auch der Weg stieg an. Er war sehr steinig. Rechts von ihm fiel das Gelände ab, so daß wir auf die Dächer der schmalen Häuser des Viertels schauen konnten, das wir bereits verlassen hatten.
Die Lichter, die wir zu sehen bekamen, konnten wir an einer Hand abzählen, so wenige waren es.
Über Neapel lag die Finsternis.
Ein Zeichen?
Vielleicht, und selbst der Mond schien sich verdunkelt zu haben.
Von den Vulkanbergen sahen wir nichts. Sie waren von der Dunkelheit verschluckt worden.
Der Weg wurde
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