0302 - Der Unhold
blitzen. »Sind Sie wahnsinnig? Die Polizei kommt mir nicht ins Haus. Für die Carabinieri bleibt meine Tür geschlossen.«
»Denken alle so in dieser Gegend?«
»Ja.«
Der Mann aus Indien enthielt sich eines weiteren Kommentars.
Er und seine Freunde hatten mit Polizisten gesprochen. Auch deren Probleme waren angerissen worden. Die Beamten hatten sich darüber beschwert, wie wenig Unterstützung sie aus der Bevölkerung bekamen. Nun erlebte Mandra die Praxis am eigenen Leib.
Mandra war ein Fremder in dieser Umgebung. Er sprach die Probleme nicht mehr an und bat die Frau um eine Decke.
»Die kann ich Ihnen holen.« Rosa Beluzzi verschwand in der Schlafkammer. Sir kehrte wieder zurück und hielt eine graue Decke in den Händen. Mandra nahm sie entgegen und breitete sie über die Leiche. Nur noch die Füße schauten hervor.
»Wir können sie auch nach draußen legen«, schlug Rosa vor.
»Nein, sie bleibt hier.«
Rosa hob die Schultern, ging auf den Tisch und zupfte eine kleine Decke zurecht. Dabei erkundigte sie sich, ob Mandra etwas trinken wollte, der Inder lehnte ab.
»Ich aber.«
»Bitte.«
Rosa Beluzzi öffnete eine Schranktür. Mandra hatte den Kopf gedreht und beobachtete sie. Im Oberteil des Schranks standen einige Flaschen. Schnaps und auch Wein.
Zielsicher griff die faltige Hand der Frau nach einer Schnapsflasche, holte sie hervor und hielt sie gegen das Licht. Die Flasche war noch zur Hälfte mit einer hellen Flüssigkeit gefüllt. »Ja, das ist gut«, sagte sie und holte auch ein Wasserglas. Dann setzte sie sich Mandra gegenüber und kippte das Glas zur Hälfte voll. Sie trank mit Genuß. Als sie das Glas absetzte, befand sich nur noch ein Rest darin. »Es ist das einzige, das einer Frau noch bleibt«, erklärte sie.
»Der Alkohol.«
»Darüber könnte man sich streiten.«
Rosa verzog ihre Mundwinkel. »Ich weiß, daß Sie es anders sehen, Signore, aber ich brauche das nun mal. Tut mir leid, wirklich.«
Sie schenkte noch einmal nach, und ihre Augen begannen zu glänzen, als sie trank. Diesmal ließ sie nichts mehr zurück.
Mandra Korab wollte sie ein wenig ablenken. »Sagen Sie, Rosa, beschäftigen Sie sich wirklich mit der Hellseherei, oder sind Sie Wahrsagerin?«
»Das letzte.«
»Und Sie haben auch Erfolge gehabt?«
»Ja, die hatte ich.« Sie beugte sich vor und legte ihre Hände flach auf den Tisch. »Sogar große Erfolge. Es hat sich nämlich herumgesprochen, was ich leiste. Zu mir kommen hohe Herren, oder ich gehe zu Ihnen. Sie sind und waren zufrieden mit mir. Gerade jetzt, am Ende eines Jahres, habe ich viel zu tun gehabt, und ich habe allen die nahe Zukunft vorausgesagt.«
»Wie sah sie normalerweise aus?«
»Unterschiedlich. Bei dem einen gut, bei dem anderen schlecht.«
Rosa blieb bei ihrer Antwort sehr allgemein.
»Könnten Sie mir auch die Zukunft sagen?« fragte Mandra.
»Selbstverständlich.«
»Dann tun Sie es.«
Rosa schaute den Inder scharf an. »Sie wollen wirklich Ihre Zukunft wissen?«
»Darum habe ich Sie gebeten.«
»Können Sie denn Wahrheiten vertragen?«
»Auch das«, erwiderte der Inder.
Die Beluzzi tat noch nichts. Sie schaute ihr Gegenüber aber an.
Schließlich nickte sie und sagte mit leiser Stimme. »Reichen Sie mir Ihre Hand!«
Mandra streckte den Arm aus, während Rosa die Flasche und das Glas zur Seite räumte, damit es nicht behinderte. Sie beugte sich noch etwas weiter vor und nickte, als sie murmelte. »Eine sehr interessante Hand. Allein vom Aufbau her. Sie ist kräftig, gut durchblutet, und auch in den Fingern steckt die nötige Kraft, das kann man gut sehen.« Sie hob ihre eigene Hand an und strich mit den Fingerkuppen über die Innenfläche. »Sehr kräftig«, wiederholte sie, »und dennoch kaum Schwielen zu erkennen. Das ist in der Tat außergewöhnlich.«
»Können Sie mir nicht mehr sagen?« fragte Mandra.
»Ja, gern, warten Sie.« Die Frau schaute nun genauer nach. Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Sie besitzen eine lange Lebenslinie«, erklärte sie. »Sehr interessant, aber Sie üben einen gefährlichen Beruf aus, deshalb wundere ich mich über die Linie. Es kann sein, daß es Sie einmal sehr schnell erwischt.«
»Weiter!«
Rosa lachte leise. »Wer zu mir kommt, muß Geduld mitbringen, Signore. Merken Sie sich das.« Danach schwieg sie, bewegte Stirn und Augenbrauen und sprach weiter. »Sie kommen aus einem fernen Land und befinden sich auf der Suche. Habe ich recht?«
»So kann man es sagen.«
Die Frau lachte
Weitere Kostenlose Bücher