0302 - Der Unhold
ich Claudia zu Boden und sah Suko neben mir.
Wir brauchten nicht lange zu reden. Mein Partner hatte mitbekommen, was geschehen war, und er handelte.
»Ich nehme mir das Monster vor!« rief er und war verschwunden.
Ohne meine Antwort abzuwarten, lief er zur Tür und war im nächsten Moment nicht mehr zu sehen.
Ich blieb zurück.
Und hörte das Stöhnen.
Nicht die Wahrsagerin hatte es ausgestoßen, sondern Mandra Korab. Sofort war ich bei ihm, kniete neben ihm und wurde blaß, als ich die linke Hand meines Freundes sah.
Sie schien nur noch aus Blut zu bestehen.
Mandra mußte Schmerzen haben. Er hatte die Lippen zusammen gepreßt, schaute mich verzweifelt an und nahm dann seine rechte Hand zurück, mit der er die linke umklammert hatte.
Jetzt sah ich den Schnitt.
Verdammt, er war durchgegangen.
»Mein Gott«, hauchte ich. »Was ist passiert?«
»Das Messer, John«, ächzte Mandra Korab. »Sie hat mich mit dem Messer erwischt und meine Hand auf den Tisch genagelt. Rosa Beluzzi ist vom Teufel infiziert. Die hat Kontakt mit der Hölle…«
Ich drehte den Kopf und warf einen Blick auf die alte Frau.
Auch sie war getroffen worden. Der Dolch steckte in ihrer Brust.
Darin unterschied sie sich nicht von ihrer Nichte. Tot war sie nicht, denn ich hörte ihren röchelnden Atem, wobei blutige Bläschen vor ihren Lippen zerplatzten. Wahrscheinlich war die Lunge getroffen worden.
Ich zog meine Jacke aus. Dann riß ich das Hemd aus dem Hosenbund, nahm meinen Silberdolch und schnitt einige Streifen ein, die ich der Länge nach auffetzte.
So hatte ich wenigstens einen provisorischen Verband bekommen, den ich um die Hand meines Freundes wickeln konnte.
Ich hoffte, die Blutung stoppen zu können und hob Mandras linken Arm vorsichtig an.
»Gib acht, John!«
»Klar doch, du Tiger. Wir schaffen es schon«, erwiderte ich gepreßt.
Das Hemd war einigermaßen sauber. So gut es ging, wickelte ich Mandras Hand ein. Dabei konnte ich mir noch einmal die Wunde anschauen. Die Klinge schien keine lebenswichtigen Sehnen und Nerven verletzt zu haben, sie war in den Ballen gedrungen und dabei genau in die Furche zwischen Daumen und Zeigefinger. Das müsste Mandra eigentlich überstehen.
»Danke!« keuchte der Inder. »Ich danke dir, John! Die Bestie, sie ist entkommen…«
»Suko kümmert sich um sie.«
»Und du?«
»Ich werde auch die Verfolgung aufnehmen. Wir müssen sie einfach packen, sonst wütet sie noch mehr.«
»Ja, du hast recht…«
»Kann ich dich allein lassen?«
»Und wie. Ich habe bisher alles überstanden, und den Rest überstehe ich auch noch. Geh nur. Es ist alles klar.«
»Wieso?«
»Ich kenne jetzt die Zusammenhänge.« Sein Gesicht verzog sich in die Breite, die Mundwinkel zuckten, das Sprechen bereitete ihm in diesem Moment Mühe, »aber das werde ich dir später berichten, John. Kümmere dich um das Monster!«
»Okay.« Ich stand auf. So eilig ich es auch hatte, ich mußte mich zuvor noch um Claudia Corelli kümmern.
Leichenblass war ihr Gesicht. Sie lag auf der Seite, die Waffe steckte in ihrer rechten Brustseite. Ich hoffte, daß Claudia durchkommen würde, denn tödlich war die Verletzung nicht. Sie durfte sich nur nicht rühren.
Ihr Mund stand offen. Die Augen wirkten unnatürlich groß in dem blassen Gesicht. Sie schaute mich an, wollte etwas sagen, doch dagegen hatte ich etwas.
»Nein, Claudia, nicht jetzt. Bleiben Sie bitte ruhig liegen! Um alles andere kümmere ich mich.«
»Aber ich…«
»Liegenbleiben. Ich werde dafür sorgen, daß Sie in ärztliche Behandlung kommen.«
»Aber das Monster…«
»Hole ich mir auch, ich verspreche es.«
Mit diesen Worten erhob ich mich und verließ das Haus. Die Tür drückte ich hinter mir zu.
In dieser Nacht war alles möglich. Der Unhold von Neapel war durchgedreht, und ich fragte mich, ob wir ihn überhaupt stoppen konnten…
***
Mandra Korab hatte seinen Freund John Sinclair das Zimmer verlassen sehen. Er fühlte sich hundeelend. Nicht nur die Verletzung und deren Schmerzen machte ihm so zu schaffen, auch die Tatsache, daß er hilflos war und nicht in den Kampf eingreifen konnte. Er lag gekrümmt auf dem Boden des Zimmers, während er die Aktivitäten anderen überlassen mußte.
Das war überhaupt nicht nach seinem Geschmack.
Mandra konnte sich zum Glück aufrichten, denn sein rechter Arm war nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Inder war kein Mensch, der untätig herumlag, auch wenn er verletzt war. Er wollte und mußte irgend etwas
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