0303 - Auf ihn wartet der Sarg
Unheimliches geschehen, Mister Cotton, dass ich mich schrecklich ängstige.«
»Und warum?«
»Mein Bruder ist aufgetaucht!«
»Ihr Bruder?«
»Ja, Tom. Er ist heute Morgen bei unserer Bank in Chicago gewesen und hat sein gesamtes Erbteil abgehoben.«
»Aber wie ist denn das möglich? Und woher wissen Sie das alles?«
»Das erkläre ich Ihnen nachher alles, Mister Cotton. Aber bitte kommen Sie jetzt sofort zu mir. Tom will um Punkt drei Uhr anrufen.«
»Sie anrufen?«
»Ja. Bitte kommen Sie. Mir ist die Sache nicht geheuer.«
»Okay. In fünf Minuten sind wir bei Ihnen.«
Wir schafften es in weniger als vier Minuten.
Ausgepumpt von dem raschen Lauf saßen wir in den Sesseln von Carmen Morenos Appartement und ließen uns von der jungen Frau berichten.
»Etwa um halb eins«, begann sie aufgeregt, »las ich in der Zeitung, dass die Sundermann-Aktien erheblich gestiegen seien. Daraufhin telefonierte ich mit meinem Bankier in Chicago und beauftragte ihn, eine bestimmte Menge der Aktien für mich zu kaufen. Er versprach dies und beglückwünschte mich gleichzeitig zur Rückkehr meines Bruders. Ich war völlig perplex und glaubte mich verhört zu haben. Aber es stimmte. Heute Morgen gegen elf ist mein Bruder in der Bank erschienen, hat sich mit allen erforderlichen Unterlagen über seine Person legitimiert und sein gesamtes Erbe in Höhe von 500 000 Dollar abgehoben. Die Bank war zwar bestürzt, aber da es sich um ein riesiges Unternehmen handelt, hat sie die Summe sofort flüssig machen können.«
»Ging denn das so ohne Weiteres? Waren damit alle Formalitäten erfüllt?«
»Ja. Mein Vater hat der Bank eine Abschrift seines Testamentes zugeleitet. Darin steht, dass Tom sein gesamtes Erbe sofort auszuzahlen ist, wenn er darum ersucht.«
»Ist der Bankier sicher, dass es sich um Ihren Bruder gehandelt hat?«
»Ja. Der Bankier war seiner Sache sicher. Zusätzlich hat er sich allerdings sämtliche Papier zeigen lassen, alles schriftlich festgehalten und alle Formalitäten erfüllt.«
»Begründet Ihr Bruder sein plötzliches Auftauchen irgendwie?«
»Er erzählte eine Geschichte von einem Überfall. Indianer hätten ihn verletzt. Am Kopf. Daraufhin habe er das Gedächtnis verloren, habe drei Jahre lang in Brasilien gelebt, ohne zu wissen, wer er eigentlich sei. Durch einen kürzlich erlittenen Schock habe er die Erinnerung wiedererlangt.«
»So etwas gibt es«, sagte Phil.
Ich nickte und fragte: »Wie beschreibt der Bankier Ihren Bruder?«
»Nun, etwas verändert. Hagerer, dunkelhäutiger. Viel konnte er dazu nicht sagen. Er hatte Tom früher nur ein- oder zweimal gesehen. Er ist ein Beamter, der sich nach'Papieren richtet. Und.die Papiere waren offenbar echt.«
»Papiere kann man fälschen.«
»Und die Unterschriften, die Tom heute Morgen geleistet hat?«
»Auch die kann man fälschen, wenn man zuvor lange genug geübt hat.«
»Das mag stimmen, Mister Cotton. Aber…« Ihr Gesicht war fahl, und sie senkte unwillkürlich die Stimme, als sie sagte: »Tom hat mich angerufen. Unmittelbar nach meinem Gespräch mit der Chicagoer Bank.«
»Sind Sie sicher, dass es die Stimme Ihres Bruders war?«
Sie zögerte einen Augenblick. Dann nickte sie langsam. »Ich glaube ja.«
»Nun, darüber werden wir bald Gewissheit haben. Was wollte er?«
»Er sagte, dass er nur zurückgekommen sei, um eine alte Rechnung zu begleichen.«
»Fragten Sie ihn, was er damit meinte?«
»Ja, aber er wich aus, lachte nur und sagte, ich werde es schon früh genug erfahren. Wissen Sie, Mister Cotton, seine Art kam mir irgendwie unheimlich vor.«
»Und warum rief er an?«
»Aus der Zeitung habe er erfahren, dass Vater gestorben sei. Deshalb habe er sein Erbteil abgehoben. Der Bankdirektor habe ihm das Testament vorgelesen. Daher wisse er, dass ihm jetzt auch ein Teil von Joe Gailivans Erbe zusteht.«
»In den Zeitungen von St. Louis kann heute Morgen von dem Mord noch nichts gestanden haben. Das heißt, Miss Moreno, dass außer mir nur der Täter von Gailivans Tod wissen kann.«
Die junge Frau nickte. »Das habe ich mir gedacht. Deshalb bat ich Sie auch, so schnell wie möglich zu kommen.«
»Und was wollte er nun eigentlich?«
»Ich sollte dem Bankdirektor Anweisung geben, den Teil von Gailivans Erbe, der Tom zusteht, an ihn auszahlen zu lassen.«
»Ist Ihre Anweisung dazu notwendig?«
»Ja, denn ich allein unterhalte ein Konto und habe die Bank mit der Abwicklung meiner Geschäfte beauftragt. Mit Toms Erbteil hatte ich
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