0304 - Maskenball der Monster
mich, aber die meisten wissen nicht, wer ich bin. Natürlich der Baron von Tirano, doch meine Abstammung liegt weit, viel weiter zurück, als ihr überhaupt denken könnt. Wenn ich ehrlich bin und mein wahres Alter angebe, komme ich auf über Jahre. Versteht ihr?«
Ein atemloses Staunen war die Antwort. Die Gäste schauten sich an, doch niemand sagte etwas.
Über 200 Jahre standen im Raum.
Unglaublich.
»Normalerweise kann ein Mensch diese Zeiten nicht überleben«, sagte der Baron. »Doch es gibt Ausnahmen. Schaut mich an. Ich sehe zwar aus wie ein Mensch, bin aber keiner, denn ich konnte nur überleben, weil ich ein Dasein als Vampir führe. Jawohl, ich bin ein Vampir, ein Blutsauger, ein Untoter, ein Wiedergänger. In diesem Haus habe ich, eingemauert von meinen damaligen Feinden, die Zeiten überdauert, und ich bin wieder freigekommen. Das verdanke ich meinen neuen Freunden – den Ratten!« Als er das letzte Wort gesprochen hatte, stach sein Arm vor und der ausgestreckte Zeigefinger deutete auf die hin- und herhuschenden Tiere. »Das sind meine wahren Freunde. Sie haben so lange genagt und gebissen, bis das Mauerwerk zerstört war und ich wieder in die Freiheit entlassen werden konnte. Ohne die Ratten hätte ich noch jetzt in dem Verlies gehockt. Aber ich bin wie ein Phönix aus der Asche zurückgekommen, und ich werde meinen Weg gehen. Wie schon damals habe ich es auch heute geschafft, mir das Flair eines Geheimnisvollen zu geben, die Gesellschaft hat mich anerkannt, mich akzeptiert, als ein enfant terrible. Ich war interessant geworden, gerade für diejenigen, denen ich mich nicht gezeigt hatte. Viele Menschen hatten versucht, mit mir in Kontakt zu kommen, die Klatschpresse vor allen Dingen, doch ich verstand es, mein Inkognito zu bewahren, denn die lange Zeit hatte mich weise gemacht. Was wohl keinem vor mir gelungen war, habe ich geschafft. Ich verstand plötzlich die Sprache der Ratten. Ich wurde in der langen Zeit einer von ihnen. Wenn die Ratten sich unterhielten, so redete ich mit ihnen, und ich erfuhr, daß auch sie so etwas wie eine Führerin besitzen. Die Rattenkönigin!«
Nach diesen Worten legte er eine Pause ein, weil er das Gesprochene erst einmal wirken lassen wollte.
Die Menschen schauten sich an. Sicherlich schwitzten sie unter ihren Masken, überlegten, dachten nach, doch niemand wagte, eine Frage zu stellen.
Deshalb redete der Baron weiter. »Ich sprach vorhin von einer Rattenkönigin. Mein größter Wunsch wurde es im Laufe der Zeit, diese Königin kennen zulernen. Und ich erfuhr, daß es gar nicht so einfach ist, sie zu befreien, denn sie lebt leider nicht hier, sondern im fernen Indien. Aber hier habe ich die Weichen gestellt, denn mir wurde weiter bekannt, daß es einen gewissen Schlüssel gibt, der nötig ist, um die Rattenkönigin zu befreien. Das Wort Schlüssel ist in diesem Falle nur symbolisch gemeint. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen Dolch. Wenn ich ihn in die Hand bekomme, wird es mir gelingen, auch die Rattenkönigin auf meine Seite zu ziehen und damit alle Ratten der Welt. Dann kann die Zeit der Apokalypse beginnen. Wenn die Ratten stärker sind als die Menschen, haltet sie nichts mehr.«
Starke Worte, die noch stärker unter dem Eindruck des eben Erlebten wirkten. Die Menschen wußten jetzt, daß es kein Bluff war, den sie zu hören bekommen hatten. In der Tat spielte dieser Mann mit den Nagern und Ratten. Sie gehorchten ihm, er führte sie an und er wollte auch die Rattenkönigin finden.
»Ich habe sehr lange gesucht und geforscht«, erklärte er. »Und ich habe den Schlüssel gefunden. Es ist eine lange Suche gewesen, aber sie hat sich gelohnt. Ich weiß nun, wer diesen Schlüssel besitzt, und ich habe diesen Jemand zu der Feier eingeladen. Er ist gewissermaßen mein und unser Ehrengast. Eine Frau, die selbst nicht weiß, zu was sie jetzt benutzt wird. Sie hatte den Weg zu uns gefunden, ich erwarte sie jeden Augenblick, Wenn sich die zweite Tür öffnet, wird sie erscheinen und mir den berühmten Schlüssel übergeben.«
»Kennen wir die Frau?« rief die als Hexe verkleidete Frau.
»Nein, sie ist ein völlig harmloses und auch ein völlig normales Wesen. Ich habe ihr nur die Einladung zum Maskenball der Monster geschickt. Und Monster sind wir doch alle – oder nicht?« Der Baron lachte, und seine spitzen Vampirzähne blitzten im Licht der Lampe.
Erwartungsvolles Schweigen hatte sich nach seinen Worten ausgebreitet.
Ein jeder lauerte darauf, daß die
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