0305 - Im Rattentempel
und sagte: »Jetzt dieselben Fragen noch einmal, mein Freund. Nur anständig beantwortet.«
Die »Antwort«, die wir bekamen, überraschte uns. Es waren keine Worte, die über seine Lippen drangen, sondern Pfiffe, hoch, schrill, und ich ahnte, was sie zu bedeuten hatten. Ähnliche Geräusche kannten wir von den Ratten her.
Suko wollte ihm noch die Hand auf den Mund pressen, ohne Erfolg.
Die Ratten hatten das Pfeifen bereits gehört.
Woher sie kamen, wußten wir nicht. Aber wir hörten das Trappeln der kleinen Füße. Der Lautstärke nach zu urteilen, mußten es ungeheuer viele Ratten sein, die aus allen möglichen Ecken und Winkeln hervordrangen. Sei es drinnen oder draußen. Jedenfalls waren sie plötzlich da. Sie huschten über die Türschwelle und sprangen auch durch das Loch in der Wand.
In dem Raum klatschten die kleinen Körper auf. Zuerst hatte ich sie noch gezählt, dann ließ ich es bleiben, denn nun mußten wir uns gegen diese verfluchte Invasion verteidigen…
***
Baron von Tirano!
Hakim hatte den Namen noch nie gehört und den Mann erst recht noch nie gesehen. Er war neben dem Jeep stehen geblieben und hatte seine flache Hand auf die Kühlerhaube gelegt. So erinnerte er an ein dunkles Denkmal und gleichzeitig an einen Geist, der aus dem Dschungel getreten war.
Aber ein Dschungelgeist redete nicht wie ein Mensch.
»Wer bist du?« fragte der Baron.
Hakim flüsterte seinen Namen.
Der andere nickte. »Du hast Angst, nicht?«
»Ja, verdammt!« keuchte der Wildhüter. Er bekam kaum Luft.
Die vielen Ratten drückten zu sehr auf seinen Körper.
»Das kann ich mir vorstellen. Angst sollst du auch haben, mein Lieber. Jeder soll Angst haben, und ein jeder wird schreckliche Angst bekommen, sobald die Zeit der Ratten richtig angebrochen ist. Was du bisher erlebt hast, war nur eine kleine Spielerei, ein Vorgeschmack auf das, was dich noch alles erwartet. Die Menschen waren zu arrogant. Sie haben die Ratten nicht ernst genommen, das war ihr Pech. Jetzt werden sie darunter zu leiden haben…«
»Was willst du denn?«
»Dich begleiten.«
»Und wohin?«
»Das sage ich dir, wenn ich neben dir sitze. Wir werden gemeinsam losfahren.«
»Ich… Ich kann nicht fahren«, flüsterte Hakim. »Die Ratten haben nur mein Gesicht freigelassen. Sie sitzen überall. Das kannst du sehen. Für mich ist es unmöglich, so den Wagen zu lenken.«
»Darum brauchst du dir keinerlei Sorgen zu machen«, sagte der Baron.
Unter dem Schleier vor seinem Gesicht bewegte sich etwas.
Vielleicht waren es die Wangen, vielleicht der Mund, jedenfalls vernahm der angststarr dasitzende Hakim einen schrillen Pfiff.
Er war kaum verklungen, als sich alles änderte. Die Ratten zeigten plötzlich kein Interesse mehr an ihrem Opfer. So rasch, wie sie es angegriffen hatten, so schnell verließen sie es auch.
Der Mann konnte nur staunen. Er starrte auf die vor seinen Augen herhuschenden und springenden Körper, hörte die Schläge, als sie auf die Kühlerhaube prallten, von dort zu Boden sprangen und im hohen Gras hocken blieben.
Auch auf dem Kopf fühlte sich der Wildhüter schon sehr schnell vom Druck der Tiere befreit.
Er atmete wieder normal durch! Es war kaum zu fassen. Die Ratten, die Flucht – das ganze Elend erschien ihm wie ein böser Traum.
Daß es nicht so war, bewies die Existenz des unheimlichen Barons. Er hatte seinen Platz nicht gewechselt und starrte den Wildhüter nach wie vor hart an.
»Du wirst dich hüten, auch nur etwas zu tun, das mir nicht gefällt!« sagte er. »Haben wir uns verstanden?«
»Ja.«
»Auch während der Fahrt wirst du auf mich hören. Glaube nur nicht, daß die Ratten verschwunden sind. Sie werden uns nach wie vor begleiten und auch im Wagen bleiben. Kapiert?«
Hakim nickte. Was sollte er sonst tun? Er konnte nichts machen.
Dieser Baron von Tirano war nicht nur ein seltsamer Kauz, er war auch unheimlich. Seine gesamte Gestalt erinnerte an die eines Vampirs, wie Hakim ihn aus Gruselfilmen her kannte.
Der Baron schritt um den Wagen herum. Durch den Luftzug geriet das dunkle Tuch vor seinem Gesicht in Schwingungen, und der Wildhüter konnte einen Teil des Vorderkopfes sehen.
Hakim erschrak.
Nein, das war kein Mensch. So bleich und farblos konnte einfach kein Mensch sein. Und er hatte auch ein Auge erkannt. Es war rot geädert, als würden aus ihm irgendwann einmal Blutstropfen rinnen.
Jetzt war ihm diese Gestalt noch unheimlicher als zuvor, und er schüttelte sich.
Der Baron stieg neben ihm
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