0305 - Im Rattentempel
kaum halten. Weit riß der Wildhüter den Mund auf. Er pumpte die schwülfeuchte Luft in die Lunge, keuchte, übergab sich, war von der Anstrengung und der Erschöpfung gezeichnet, und der Himmel über ihm geriet zu einem tanzenden Wirrwarr, in dem sich die Schatten der hohen Dschungelbäume vermischten.
Die Knie wollten nachgeben. Hakim schaffte es nicht, in den Jeep zu klettern. Er preßte sich mit dem Rücken gegen die Tür und hielt sich in einer merkwürdigen Stellung, mit den Armen nach hinten, am Wagen fest.
Die Ratten kamen.
Er sah sie als huschende, wirbelnde, tanzende und wogende graue Masse. Vor ihm, wo der Busch begann, schien sich der Boden zu bewegen. Er war wie ein Teppich, der überhaupt nicht zur Ruhe kam, sondern weiter auf ihn zurannte.
Wenn er es jetzt nicht schaffte, in den Jeep zu springen und wegzufahren, war er verloren.
Sein Gesicht verzerrte sich in unendlicher Qual. Die Erschöpfung wollte ihm die Beine wegreißen, er sah kaum noch etwas, das Blut hämmerte in seinem Schädel und rann auch über sein Gesicht.
Wie er es schaffte, die Tür aufzuziehen, wußte er selbst nicht.
Aber es klappte, und er kletterte wie ein kleines Kind in den Jeep hinein. Den Zündschlüssel hatte er mitgenommen. Er steckte in irgendeiner Tasche seiner Hose, und Hakim mußte ihn nur noch hervorholen. Der Wildhüter lag in seinem Sitz. Er fiel schräg auf die andere Seite. Das Gewehr behinderte ihn jetzt. Er spürte den harten Druck im Rücken, doch er war einfach zu schwach, die Waffe über die Schulter zu streifen.
Starten und ab.
Plötzlich waren sie da!
Hakim hatte auf die Ratten nicht mehr geachtet. Er hätte über die Tür schauen sollen. So aber sah er sie nicht, sondern erst, als es zu spät war.
Da hatten sich die ersten Körper schon abgestoßen, in die Luft geschwungen, und katapultierten sich über die Fahrertür des Jeeps hinweg.
Für einen Moment hatte Hakim das Gefühl, fliegende Ratten zu erleben. So jedenfalls kamen sie ihm vor, als sie jetzt von allen Seiten in den Jeep hineinsprangen und nicht nur auf den Polstern ihren Platz fanden, sondern auch auf seinem Körper.
Sie krallten sich fest. Er spürte ihre scharfen Füße und erlebte, daß ihn immer mehr Tiere ansprangen. Schon bald war seine Gestalt von den zuckenden und wimmelnden Körpern bedeckt.
Weitere Ratten fanden ihren Platz, wobei sie auch auf die Rücken ihrer Artgenossen sprangen und diese zur Seite drückten.
Das ist das Ende! schoß es dem Wildhüter durch den Kopf. Es war alles umsonst gewesen. Die Flucht, die Anstrengung, die verzweifelte Gegenwehr, jetzt hatten sie ihn.
Aber sie bissen nicht zu.
Selbst die beiden fetten Ratten auf seinem Schädel hackten ihre Zähne nicht in die Haut, sondern blieben ziemlich still sitzen. Nur die Füße hatten sie in Hakims Haar gekrallt.
Die Ratten hatten ihn zur Statue gemacht! Er wollte sich nicht bewegen. Das klappte nicht, denn er mußte atmen. Mit jedem Heben und Senken des Brustkorbs hob und senkte sich auch die Masse der Ratten, die sich an ihn klammerten.
Und so blieb er sitzen.
Zuerst nur Sekunden. Die reihten sich zu Minuten aneinander, und die Zeit wurde ihm lang und länger. Er hockte da, die Ratten klebten an seinem Körper, das Gewicht wurde allmählich zur Last, und als er den Blick senkte, starrte er in die tückischen Augen dieser gefräßigen Nager.
Aus allen leuchtete ihm die Mordlust entgegen, doch keine einzige Ratte unternahm auch nur den Versuch, ihn anzubeißen.
Sie blieben ruhig.
Hakim wußte nicht, wie viel Zeit vergangen war, für ihn eine kleine Ewigkeit.
Auch die strich vorbei.
Und dann vernahm er Schritte.
Er wußte nicht, aus welcher Richtung sie kamen, jedenfalls nicht von vorn, und sie näherten sich dem Jeep. Er hörte deutlich, wie sie durch das hohe Gras streiften. Aus dem rechten Augenwinkel sah er auch, daß sich Halme bewegten, als würden sie vom Wind gestreichelt.
Der Wind aber war eingeschlafen. Es war die unbekannte und nicht sichtbare Person, die sich für diese Bewegung verantwortlich zeigte.
Plötzlich stand sie neben dem Jeep.
Hakim drehte den Kopf um eine Winzigkeit. Der Mann, der sich dort aufhielt, den hatte er noch nie gesehen. Er paßte auch nicht in den Dschungel, denn er trug dunkle Kleidung, einen ebenfalls schwarzen Umhang und hatte ihn sogar über den Kopf gestreift, so daß sein Gesicht verdeckt und geschützt war.
Nur undeutlich schimmerte es durch den Stoff, und Hakim glaubte fest daran, daß der andere eine
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