0307 - Die letzte Kugel für den Boß
Stunden nach der Unterredung in Mr. Highs Büro mit dem Ford unterwegs war, um wenigstens einen von einer ganzen Reihe Leute zu finden: Rowfield, Ralph Howard, Larry Canogan oder einen chinesischen Mischling. Es war völlig gleichgültig, wo ich zu suchen begann. Überall in New York waren die Chancen gleich, gleich groß oder gleich Null.
Ich begann mit Andrew Haiback. Fasters ehemaliger Opiumlieferant unterhielt in der Vestry Street einen Trödlerladen.
Ich schüchterte Haiback gewaltig ein und erfuhr von ihm, das er Larry Canogan kannte. Das heißt, kennen wäre zuviel gesagt. Der Killer war nur einmal mit seiner Freundin in Haibacks Laden gewesen. Aber Haiback konnte nur Namen und Adresse des Girls nennen: »Nancy Kelly. Sie wohnt W. 44. Straße 1401.«
***
Ich schwang mich in den alten Ford und schaukelte zur 44. Straße. Es war immerhin zehn Uhr, als ich den Schlitten vor dem Haus 1401 stoppte, eigentlich keine Zeit mehr, um einer Dame ’nen Besuch abzustatten, aber wahrscheinlich war Nancy Kelly nicht das, was man im Allgemeinen unter einer Dame versteht, und solange ich als Rob Slade herumlief, war ich nicht einmal verpflichtet, mich wie ein Gentleman zu benehmen.
Nr. 1401 war ein relativ neues Zehn-Stock-Gebäude. Die Tafel mit dem Bewohnerverzeichnis im Erdgeschoss gab Auskunft, dass eine Miss Nancy Kelly das Appartement F 14 bewohnte.
Im Fahrstuhl fuhr ich hoch, fand die Tür mit der Nummer 14 und drückte den Klingelknopf.
Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, öffnete. Ihr Gesicht war schmal. Sie hatte große, dunkle Augen. Sie war klein, mager und hielt sich nachlässig. Ihr blondes Haar hing ihr wie Strohfäden um den Kopf. Auf den ersten Blick erweckte sie Mitleid aber als sie sprach, hörte sich ihre Stimme an wie das Fauchen einer streitsüchtigen Katze.
»Was wollen Sie? Wer sind Sie? Scheren Sie sich weg!«, fauchte sie mich in einem Atemzug an.
»Hören Sie! Ich bin ein alter Freund von Larry, und man sagte mir, ich könnte von Ihnen erfahren, wo ich ihn finde.«
Die Lüge wirkte.
»Kommen Sie herein«, sagte sie sofort und gab den Weg frei.
Die Wohnung, ein Zwei-Zimmer-Appartement, war modern möbliert, aber in einem miserablen Zustand. Überall lagen Kleider herum. Am Fenster stand eine Staffelei, auf der einige Bleistiftskizzen von Tapetenmustern befestigt waren. Der Fußboden rings um die Staffelei war übersät von zusammengeknüllten Papierfetzen.
»Ist das Ihr Job?«, fragte ich und zeigte auf die Muster.
Sie nahm sich eine Zigarette aus einem Kästchen.
»Ja«, antwortete sie und hielt mir das Kästchen hin, »aber ich bin nicht sehr gefragt. Mir steht der ganze Unsinn bis hier!« Sie hielt ihre Hand bis an’s Kinn.
Ich gab ihr Feuer, und sie sagte: »Setzen Sie sich. Woher kennen Sie Larry?«
»Wir waren mal eine Zeit zusammen«, antwortete ich. Sie ließ den Satz gelten. Vielleicht hatte sie gar nicht zugehört, denn ihre Bewegungen verrieten, dass sie im höchsten Maße fahrig und nervös war.
»Wo wohnt Larry also?«, fragte ich freundlich.
Sie lachte schrill.
»Seine Adresse lautet W. 45 Straße 1140, sozusagen direkt hier um die Ecke, aber Sie werden ihn vergeblich in seiner Wohnung suchen. Erst heute Abend bin ich hingerannt, aber er war wieder nicht da.«
»Haben Sie ihn längere Zeit nicht gesehen?«
»Ich sah ihn vorgestern, und er versprach, gestern zu kommen, aber er kam nicht. Ich habe gestern und heute den ganzen Tag auf ihn gewartet. Er hat versprochen, mir etwas zu bringen. Etwas, das ich dringend brauche.«
»Opium?«, fragte ich kalt.
Sie riss den Kopf herum. Ihre großen Augen glühten mich an, und ich las darin die gleiche verzweifelte Sucht, die ich in David Howards Blicken gesehen hatte. Es dauerte nur eine Sekunde, dann wurde ihr Blick relativ normal. Das bedeutete, dass sie noch »satt« war, wie es im Jargon der Süchtigen heißt. Sie besaß noch Opium, aber sie fürchtete, ihr Vorrat könne zu Ende gehen, und der Gedanke, plötzlich ohne das Gift sein zu müssen, machte sie nervös.
»Sie wissen Bescheid?«, fragte sie.
»Ja, ziemlich genau. Larry sorgte dafür, dass Sie den Stoff billig bekamen, wie?«
»Ja. Können Sie es auch besorgen?«
Ich lachte, aber ich glaube, es klang künstlich.
»Tut mir leid, Miss Kelly, aber im Augenblick verfüge ich nicht über einen einzigen Krümel. Ich war früher mal in der Branche, und ich dachte, Larry könnte mich wieder hineinlotsen. Darum suche ich nach ihm.«
Sie verlor jedes Interesse
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