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031 - Der Puppenmacher

031 - Der Puppenmacher

Titel: 031 - Der Puppenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
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schwacher Lichtschein in den Korridor fiel.
    »Das ist Phillips Zimmer«, raunte er ihr zu. »Gehen Sie zu ihm und bewachen Sie ihn gut! Beschützen Sie ihn – in Gottes Namen – vor den Dämonen!«
    Coco erschauerte. Obwohl sie selbst bekehrt war und nicht mehr zu dem Kreis der Machte der Finsternis gehörte, bereitete es ihr Unbehagen, wenn jemand den Namen Gottes aussprach. Sie wußte, daß es eine Sache der Gewöhnung war. Da der Name Gottes so fließend über Lord Haywards Lippen kam, konnte er selbst unmöglich dem Schwarzen Kreis angehören.
    Irgendwo knarrte eine Tür. Coco sah, daß am Ende des Korridors ein schmaler Lichtschein – so flackernd und unruhig, als stamme er von einer Kerze – auftauchte und langsam breiter wurde. »Meine Frau!« sagte Hayward erschrocken. »Gehen Sie schon in Phillips Zimmer! Sie darf Sie hier nicht sehen.«
    Coco kam der Aufforderung sofort nach. Sie öffnete die bezeichnete Tür vorsichtig, schlüpfte lautlos durch den Spalt und drückte die Tür hinter sich zu.
    Draußen hörte sie eine lockende Frauenstimme sagen: »Willst du nicht auf mein Zimmer kommen und mir Gesellschaft leisten, Scotty?«
    »Nein, um Gottes willen, nein!« rief Lord Hayward entsetzt.
    »Versündige dich nicht in meiner Gegenwart!« kam die gellende Stimme der Frau.
    Danach hörte Coco nichts mehr. Sie hatte die Tür hinter sich geschlossen.
    Coco spürte die Bedrohung fast körperlich, noch ehe sie sah, wie sich Phillip in seinem Bett unruhig hin und her wälzte. Auf dem Nachttisch stand neben dem Telefon eine Leselampe, die ein angenehmes, warmes Licht spendete. Aber außerhalb des Lichtkegels begann der Reigen der dunklen Mächte. Das Böse kam in Form von wirbelnden Schatten, sprühenden Irrwischen und nebelartigen Gebilden ins Zimmer. Es tanzte in den finsteren Winkeln, huschte über die Decke und drang durch die Fensterritzen herein.
    Phillip wimmerte leise vor sich hin, als sich eine Nebelschwade auf seine Brust legte. Seine feingliedrigen Hände griffen in das körperlose Gebilde, versuchten es zu verscheuchen, zuckten jedoch sofort wieder zurück, als hätten sie sich daran verbrannt.
    Coco nahm das silberne Kreuz ab, das sie an einer Kette um den Hals trug, und streckte es dem Nebelgebilde entgegen. So schritt sie langsam und bedächtig auf Phillips Lager zu. Der Nebel wurde wie von einer Sturmbö durcheinandergewirbelt und verschwand in irgendeinen Winkel des Zimmers. Ein Raunen und Keifen erhob sich; unflätige, obszöne Worte drangen an Cocos Ohr, aber sie ließ sich nicht beirren.
    Sie wußte, daß sie sich eine Blöße gab, wenn sie auf die Beschimpfungen der Dämonen eine Reaktion zeigte. Sie kannte die Spielregeln der Dämonen, denn früher hatte sie selbst dazugehört. Sie kannte die Stärke der Geschöpfe der Finsternis, aber auch ihre Schwächen.
    Coco hatte das Bett erreicht. Sie ergriff Phillips Hand und legte das silberne Kreuz hinein. Aber anstatt sich an dem Kreuz festzuklammern, zuckte Phillips Hand zurück, und aus seiner Kehle löste sich ein gurgelnder Angstschrei.
    Das war seltsam. Es war im höchsten Grad erstaunlich. Kein normaler Sterblicher – und schon gar nicht jemand in dieser verzweifelten Lage – würde so reagieren.
    Coco betrachtete Phillip eingehender. Sie sah einen jungen Mann in ihrem Alter, der vom Tode gezeichnet war; aber sie entdeckte auch, daß er einen ungewöhnlich grazilen Körper hatte, wie ein Mädchen; und unter seinem Nachthemd zeichneten sich kleine, feste Brüste ab.
    War Phillip ein Junge oder ein Mädchen? Oder keines von beidem? War er ein Hermaphrodit? Ein Geschöpf – nicht Mensch, nicht Dämon – ein Wesen, das eine Mischung aus beidem war?
    Nicht Mann, nicht Frau, sondern zweigeschlechtlich oder geschlechtslos? Er hatte das Engelsgesicht, die weiblichen Geschlechtsmerkmale, die feinen Hände – und er besaß die Übersensibilität, die ihn gegen alle Einflüsse von außen empfindlich machte und für alles zugleich empfänglich.
    Coco wußte aus den Erzählungen ihrer Familie, daß alle hundert Jahre ein Wesen geboren wurde, das jenseits von Tag und Nacht, abseits von Gut und Böse stand. Es war kein Mensch und kein Dämon, sondern fast göttlich zu nennen.
    Die Dämonen fürchteten diese Hermaphroditen. Schon dreimal waren solche Astralgeschöpfe geboren worden, aber sie konnten bald nach der Geburt von den Dämonen getötet werden. Es hieß, daß mit der Geburt eines Hermaphroditen die Dämmerung für die Dämonen begann.

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