031 - Die Mörderpuppen der Madame Wong
war glattrasiert, und es war, als würde ein winziges,
nadelfeines Drähtchen aus der Schädeldecke ragen. Iwan wollte sich die Sache
aus der Nähe ansehen – doch er kam nicht mehr dazu. Er fühlte einen feinen,
schmerzhaften Einstich in der Wade, sah noch die kleine Puppe, die neben ihm
stand, und wollte nach ihr treten. Das schnell wirkende Gift, das durch den
Nadelstich in seine Blutbahn geraten war, ließ ihn taumeln. Alles vor seinen
Augen verzerrte sich, die düsteren Nischen wichen vor ihm zurück, die starren
Körper wurden zu verwaschenen Schemen. Sein Augenlicht ließ nach, seine
Körperkräfte versagten. Er merkte, wie ihm das Atmen schwerfiel und begriff,
dass man ihn nicht tötete, sondern nur betäubte.
Eine unbekannte, unheimliche Macht hatte sein Schicksal
bestimmt, und er wusste, dass er diesem nicht mehr entgehen konnte. Er wurde
zur Puppe!
●
Larrys Rechte ruckte hoch. Er drückte genau in dem
Augenblick ab, als sich die Nadel von der Hand der Puppe löste.
Der feine Laserstrahl ließ die Nadel mitten im Flug
aufglühen.
Larry Brent kam nicht dazu, seine Gedanken zu ordnen. Die
Puppe kam mit unbeholfenen Schritten näher. Larry wich aus, doch sie folgte
jeder seiner Bewegungen. Die nächsten Strahlen der Laserwaffe des PSA-Agenten
drangen durch die Augen der Puppe, der Kunststoffkörper schmorte zu einer
blasenwerfenden Kugel zusammen. Die heiße Masse versengte den Teppich, richtete
aber weiter keinen Schaden an. Zwischen der zusammengeklumpten Kunststoffmasse
fand er Metall- und Kabelreste, die den Körper offenbar wie ein Gerippe
gestützt hatten. Die Jho Fung Puppe war vernichtet. Was aber war aus dem
Chinesen geworden?
Larry durchsuchte die ganze Wohnung. Dem Wohnzimmer
schloss sich ein kleiner Arbeitsraum an. Es sah aus, als hätte sich hier ein
Kampf abgespielt. Inmitten des Chaos' fand Larry eine zerrissene Karte. Seine
geringen Kenntnisse der chinesischen Schrift reichten gerade aus, um ihn einen
Teil der aufgedruckten Botschaft verstehen zu lassen.
»Einladung – Maskenfest – Madame Wong, Puppenmacherin.«
Der Begriff Puppe genügte, um Larry stutzig zu machen.
Das Maskenfest fand am folgenden Tag statt. Er wollte jeder Spur nachgehen,
auch der kleinsten. Eine Puppenmacherin ...
Eilig verließ er die Wohnung. Unterwegs hielt Larry vor
einer Fernsprechzelle und rief das Taxiunternehmen an, bei dem der Fahrer des
Wagens mit der Nummer 25-6768 angestellt war. Vielleicht war der Chauffeur
inzwischen zurückgekehrt.
Die Nachricht war alles andere als erfreulich. Man hatte
das Taxi entdeckt, im Hafenbecken.
»Die Bergungsmannschaft ist noch bei der Arbeit!« Larry
ließ sich den genauen Fundort beschreiben und fuhr sofort los.
Es ging Richtung Kowloon, also die Strecke, die Iwan
Kunaritschew erwähnt hatte. Die Ungewissheit über das Schicksal des Freundes
machte Larry sehr unruhig.
Er ließ sich mit der Fähre hinüberbringen, und der Weg
kam ihm wie eine Ewigkeit vor.
Schon von weitem sah er eine Ansammlung von Menschen und
die rotierenden Lichter auf den Wagen der chinesischen und englischen Polizei.
Larry fuhr so dicht wie möglich an die Kaimauer heran, ließ seinen Wagen stehen
und drängte sich näher an das Geschehen heran.
An einem Kran hing ein Taxi. Das Wasser lief aus dem
Bodenblech und den heruntergekurbelten Fenstern.
Männer in Schutzhelmen und Polizeibeamte umringten den
Wagen, als dessen Reifen den Boden berührten.
Einige Reporter lösten sich aus der Menschentraube. Es
gelang ihnen, Aufnahmen aus nächster Nähe zu schießen.
Larry nutzte das Durcheinander, um sich an einem der
Polizisten, der seine Aufmerksamkeit gerade einigen anderen Neugierigen
zuwandte, vorbeizuschieben.
Er erreichte den Wagen und sah die Leiche des Fahrers
hinter dem Lenkrad. Unwillkürlich erwartete er, auch Iwan in dem Auto zu sehen.
Doch der Fahrer war alleine.
»Offenbar die Anfahrt zur Fähre verfehlt«, vernahm der
Amerikaner die Stimme eines Feuerwehrmannes. »Es gibt kaum eine andere
Erklärung ...«
»Vielleicht betrunken«, meinte ein anderer.
»Möglich.«
Auf den ersten Blick konnte Larrys geübtes Auge an dem
Leichnam des chinesischen Taxichauffeurs keine äußere Verletzung erkennen.
Er hatte genug gesehen und zumindest die Gewissheit, dass
Iwan nicht mehr im Wagen gesessen hatte, und so kehrte er zu seinem Fahrzeug
zurück.
Larry zündete sich eine Zigarette an, während er das
Hafengebiet hinter sich ließ und sich in den fließenden Verkehr
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