031 - Die Stunde der Ameisen
mitgerissen. Ohne weiter darüber nachzudenken, schlüpfte sie aus ihrem Kleid, das über dem Boden schwebte und in einer Ecke des Saales liegenblieb. Dann schleuderte sie ihre Schuhe zur Seite und reihte sich in den Ring der Tanzenden ein. Sie bückte sich, hob einen Schöpflöffel auf, tanzte an den Kessel heran, holte etwas von dem Hexentrank heraus und nippte daran. Die heiße Flüssigkeit rann scharf und beißend ihre Kehle hinunter und brachte ihr Inneres innerhalb von Sekunden zum Glühen. Sie schien schwerelos zu werden; ihre Bewegungen wurden geschmeidiger und sinnlicher. Das blonde Haar wehte wie ein Schleier hinter ihr her. Sie preßte beide Hände unter ihre großen Brüste und ließ ihre Hüften heftig rotieren. Hände faßten nach ihrem Körper, denen sie augenblicklich auszuweichen suchte.
Vera vergaß ihre Aufgabe. Sie gab sich ganz der gelösten Stimmung hin. Vergessen war der Kampf ihrer Familie; nur der Augenblick zählte. Ihre Mutter versuchte vergeblich, mit ihr Kontakt herzustellen. Die Musik, der Trank und der Geruch, der jetzt in der Luft hing, das alles betörte Vera.
Die Fackeln brannten nieder, und es wurde dunkel im Raum. Einige der Dämonen hatten sich in Werwölfe oder raubtierähnliche Geschöpfe verwandelt. Es gab Kobolde, Vampire und Medusen. Verschiedene der Dämonen konnten ihre Gestalt unter der Wirkung des Trankes und der Musik zu Phantasiegestalten umformen, zu Geschöpfen, die nichts Menschliches mehr an sich hatten. Über dem Opferbock erstrahlte plötzlich eine grüne Flamme, die rasch größer wurde. Eine der Türen öffnete sich, und ein junger Mann trat in den Saal. Ihm folgte eine dreißigjährige Frau. Sie gingen beide wie Marionetten. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie standen unter dem Einfluß eines Dämons. Vor dem schwarzen Opferbock blieben sie stehen.
Die Musik wurde schriller, und die Dämonen tanzten um die beiden Opfer herum. Hände griffen nach ihnen und zerrten an ihren Kleidern. Innerhalb weniger Augenblicke waren der junge Mann und die Frau völlig nackt. Sie wurden auf den Opferbock geworfen, und die Tanzenden kamen näher. Plötzlich löste sich die Starre der beiden. Sie konnten sich bewegen und hoben die Köpfe. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie die Schauergestalten erkannten, die sie umringten. Sie schrien auf, als spitze Krallen sich in ihr Fleisch gruben, als sich gierig geöffnete Mäuler ihren Leibern näherten. Lange Zähne bohrten sich in die Brust der Frau und saugten ihr das Blut aus. Die Schreie der beiden wurden immer lauter. Sie vermischten sich mit der schaurigen Musik. Die Dämonen wurden dadurch aber nur zu noch größeren Grausamkeiten animiert. Vera weidete sich an den Qualen der beiden und beteiligte sich auch am teuflischen Spiel. Das Entsetzen der Opfer war für die meisten Dämonen ein Lebenselixier, das sie vollends zur Raserei brachte. Immer wieder tranken sie einen Schluck vom schwarzen Hexentrank, was ihre Sinne noch mehr anregte. Einige zogen sich in die Ecken zurück und gaben sich ihren perversen Gefühlen hin.
Veras Verlangen nach einer geschlechtlichen Vereinigung wurde schließlich übermächtig. Sie wandte langsam den Kopf. Dicht hinter ihr tanzte Toni Obrecht. Es war um einen Kopf größer als sie. Sein gedrungener Schädel war mit einem rotbraunen Fell bedeckt, das bis über die halbe Brust reichte. Seine großen Augen glühten dunkelrot. Das geifernde Maul öffnete und schloß sich gierig. Er streckte die Hände nach Vera aus, die sich an ihn drängte. Er hob das Mädchen spielerisch hoch und verschwand mit ihr aus dem Lichtkreis der magischen Flamme. Vera lag in Toni Obrechts starken Armen und gab sich seinen brutalen Bewegungen hin. Sie wand sich wie eine Schlange unter ihm, und tierische Laute kamen über ihre Lippen. Ihre Vereinigung war kurz, brutal und unmenschlich. Als Vera den Höhepunkt erreicht hatte, spürte sie den Kontakt mit ihrer Mutter. Sie ergriff die Chance, und gemeinsam mit ihrer Mutter gelangt es ihr, Toni Obrecht zu verhexen. Seine Bewegungen wurden langsamer, und er schloß die Augen.
»Wer hat uns den Kampf erklärt?« flüsterte sie ihm sanft ins spitze Raubtierohr. Niemand um sie herum bemerkte, daß sie sich den Dämon Untertan gemacht hatte.
Er fletschte das Maul. »Die Winkler-Forcas'«, drang es rauh aus seiner Kehle.
Vera atmete zufrieden auf. »Und wie stehen die anderen Familien zu uns?«
»Sie werden sich neutral verhalten.«
Das war mehr, als Vera zu erfahren
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