031 - Die Stunde der Ameisen
Antwort. Ich hätte etwas dazu sagen können, doch meine Lippen blieben verschlossen; irgend etwas hinderte mich nach wie vor am Sprechen.
»Meiner Meinung nach kommen nur drei Familien in Frage«, sagte Georg. »Die Nowottnys, die Winkler-Forcas' und die Lexas'. Entweder haben sich diese drei Sippen zusammengeschlossen – oder eine von ihnen nimmt den Kampf allein gegen uns auf.«
»Ich stimme mit dir überein«, sagte mein Vater. »Die anderen Familien würden es niemals wagen, sich gegen uns zu stellen. Es wäre natürlich auch denkbar, daß sich einige der unbedeutenden Familien zusammengeschlossen haben. Das erscheint mir jedoch nicht wahrscheinlich.«
»Ich tippe auf die Lexas'«, sagte Vera. »Sie sind eine alte Wiener Familie und haben es noch immer nicht verwunden, daß Vater die Herrschaft an sich gerissen hat.«
»Das glaube ich nicht«, schaltete sich Lydia ein. »Die Lexas' sind zu schwach. Sie verfügen nicht über die Fähigkeiten, die notwendig sind, um uns anzugreifen.«
»Alle Vermutungen sind sinnlos«, sagte mein Vater. »Wir benötigen Beweise. Und die werden wir uns holen.«
»Aber wie?« fragte Georg.
»Ich erwarte jeden Augenblick das Erscheinen von Skarabäus Toth«, sagte mein Vater. »Er informierte mich vor einer halben Stunde, daß er mir eine wichtige Nachricht zu überbringen habe. Ich bin sicher, daß sich die feindliche Partei mit ihm in Verbindung gesetzt hat und er uns ein Ultimatum überbringen wird. Warten wir einmal ab, was er uns zu bestellen hat, dann sehen wir weiter.«
Ich hatte schweigend zugehört. Ich kannte die Wiener Familien eigentlich bloß vom Hörensagen. Bis jetzt war ich nur ganz wenigen Dämonen außer meiner Familie leibhaftig begegnet.
Die Nowottny-Familie stammte aus Prag. Sie war kurz nach unserer Sippe in Wien eingetroffen und genoß ein recht hohes Ansehen innerhalb der Schwarzen Familie. Ihre Mitglieder galten als korrekt und hilfsbereit, was unter den Dämonen nicht mehr allzu häufig vorkam. Es war eine weit verzweigte Familie, die in allen Teilen Europas Verwandte hatte. Die Winkler-Forcas' hatten sich erst vor zwanzig Jahren, als sie aus München vertrieben wurden, in Wien niedergelassen. Anfangs hatte niemand etwas mit ihnen zu tun haben wollen. Sie hatten sich unter den Sippen Freunde geschaffen, doch unser Verhältnis zu ihnen war noch immer unterkühlt. Die Lexas' stammten aus Südamerika. Sie waren vor mehr als zweihundert Jahren nach Wien gekommen und hatten die Herrschaft übernommen. Damals hatte es erbitterte Auseinandersetzungen gegeben, doch die Lexas' waren zu mächtig gewesen; sie hatten ihre Position bis zum Auftauchen unserer Sippe halten können. Seither hatten sich die Lexas' nicht mehr erholt; sie waren schwach und hilflos geworden. Aus ihrer Sippe war in den vergangenen dreißig Jahren nicht ein einziger guter Magier hervorgegangen. Sie degenerierten immer mehr.
Wir mußten nicht lange warten, und der Hüter des Hauses meldete, daß Skarabäus Toth eingetroffen sei. Vater empfing den düsteren Gast vor dem Haus und führte ihn ins Wohnzimmer. Bei Toths Eintreten erhoben sich alle Familienmitglieder und verbeugten sich leicht. Toth nahm Platz und schlug die Beine übereinander. Sein Gesicht glich einer starren Maske. Seine dunklen Augen wirkten leblos. Er schwieg einige Sekunden, so als würde er auf eine Stimme lauschen, dann bewegte er ruckartig den Kopf und blickte Michael Zamis an.
»Kurz nachdem Ihr Sohn Georg mich verlassen hat, Herr Zamis«, begann er, »bekam ich Besuch von einer anderen Familie. Ich darf den Namen nicht nennen. Der Besucher sagte mir, daß er den Kampf gegen die Zamis' aufgenommen habe. Bis jetzt gab es erst einen Toten, aber er will Sie völlig vernichten, wenn Sie seine Bedingungen nicht akzeptieren.«
»Und die sind?« fragte mein Vater überraschend ruhig.
»Er will, daß Sie sich aus Wien zurückziehen und die Herrschaft der anderen Familie überlassen. Wenn Sie auf diese Bedingungen nicht eingehen, schwört er, daß er Sie und alle Ihre Familienmitglieder töten wird. Und das bezieht sich nicht nur auf die Wiener Familie. Er will auch die italienische Linie der Zamis' töten. Sie haben bis zum Morgengrauen Zeit, sich alles zu überlegen. Bis dahin wird kein feindseliger Akt gegen Ihre Familie unternommen. Ich bin beauftragt, darüber zu wachen, daß kein Anschlag auf Sie oder eines Ihrer Familienmitglieder verübt wird. Sollte das doch geschehen, dann darf ich Ihnen den Namen der
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