0311 - Am Todestag von Isabell
Schwester.« Er lachte.
»Ich hatte nicht den Eindruck. Was sie mir sagte, schien Hand und Fuß zu haben. Übrigens glaubt sie nicht im Geringsten an das Hausgespenst. Sie ist der Ansicht, dass auch Sie nicht daran glauben. Sicherlich verstellen Sie sich, um Hardman zu gefallen. Wenn Sie dann mit Evelyn getraut sind, können Sie ja die Maske fallen lassen. Ganz unter uns, ich würde das Grundstück auch verkaufen, mit der Ahnfrau.«
»Davon verstehen Sie nichts, Mister Cotton. Lassen Sie sich ein für allemal gesagt sein, dass der Geist von Isabell ein gewaltig rachsüchtiger Geist ist. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn die Weiße Frau Ihnen eines Tages den Hals abschneidet.«
»Da ist gegen die Tradition, würde Ihr künftiger Schwiegervater sagen. Die Weiße Frau erledigt ihre Opfer mit dem Henkerstrick. Sind Sie ihr übrigens seit gestern noch einmal begegnet.«
»Gott sei Dank nicht. Ich kann darauf verzichten.«
»Dann möchte ich wissen, wer hier die Krampen aus der Tür gezogen hat. Irgendeine Person hatte so Sehnsucht nach dem Hausgespenst, dass sie die Schlösser entfernte, um in Isabells Zimmer zu kommen.«
»Was reden Sie da für einen Unsinn? Isabell hat es nicht nötig, Schlösser zu entfernen. Die Weiße Frau geht durch Türen und Mauern. Für sie gibt es kein Hindernis.«
»Ich wundere mich, Mister Delory, mit welcher Überzeugung Sie das vortragen! Man könnte meinen, Sie seien mit Isabell verlobt und nicht mit Evelyn. Wann wird übrigens geheiratet?«
»Sobald wie möglich. Wir müssen nur den Alten noch herumkriegen. Er möchte sie Sache noch hinausschieben.«
»Er hat wohl Angst um sein Grundstück.«
»Hat Ihnen Eve das auch erzählt?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Ihr Schwesterchen hat mir so vieles erzählt, dass ich es sicherlich nur zur Hälfte behalten habe. Vergessen Sie übrigens nicht, sie herzlichst von mir zu grüßen.«
Als ich ging, war die einzige Person, die ich nicht gesehen hatte, Evelyn Hardman. Entweder sie war nicht zu Hause oder sie hatte keinen Wert darauf gelegt, mir zu begegnen.
***
Um 10 Uhr war ich bereits zu Hause. Ich langweilte mich und rief bei Phil an. Ich wollte ihn überreden, noch eine Partie Schach mit mir zu spielen.
Aber niemand antwortete. Phil schien noch einmal weggegangen zu sein. Ich überlegte mir noch, ob ich dasselbe tun sollte, als das Telefon klingelte.
»Hallo, Jerry, bist du das?«
»Wer sollte das wohl sonst sein, etwa die Weiße Frau?«
»Da wir gerade von der Weißen Frau sprechen«, lachte mein Freund, »ich bin hier im Bon Soir in Greenwich Village, und nicht weit von mir sitzen zwei gute Bekannte.«
»Was tust du mitten in der Nacht im Bon Soir?«
»Ich amüsiere mich. Wo konnte ich das besser als hier? Ich wollte dich gerade fragen, ob du dich aufraffen willst, herzukommen.«
»Hast du gute Gesellschaft?«
»Ich sitze hier einsam und verlassen und trinke schon den dritten Scotch.«
»Und wer sind die guten Bekannten?«
»Lass dich überraschen. Ich verrate nichts.«
»Das ist Erpressung. In einer Viertelstunde bin ich da.«
Das Bon Soir liegt in der 8. Straße und ist ein recht amüsanter Nachtclub. Es ist eingerichtet wie eine Kneipe im finstersten Paris. Nur die Preise sind noch höher als am Place Pigalle. Die Kellner tragen enge Hosen, bunte Hemden und rote Halstücher.
Noch bevor ich Phil sah, bemerkte ich die »guten Bekannten«. In einer Nische, nicht weit von der Tanzfläche, saßen Evelyn Hardman und Sam Delory und schienen bester Laune zu sein.
Ich musste eingestehen, dass die schwarzhaarige Evelyn noch bedeutend hübscher war, als ich vorher angenommen hatte. Sie trug ein zitronenfarbenes, langes Abendkleid mit großzügigem Dekollete. Ihre schwarze Mähne war zu einer Krone aufgesteckt.
In dieser Krone schimmerte ein sicherlich kostbares, kleines Diadem.
Ich überlegte noch, ob dieses Diadem wohl ein Erbstück der gespensterhaften Isabell sei, als ein Kellner mich störte.
»Der Herr, den Sie suchen, sitzt dort drüben rechts.«
»Danke schön«, sagte ich und steuerte auf meinen Freund zu, der sich hinter einer imitierten Gaslaterne verschanzt hatte.
»Den beiden scheint es ja recht gut zu gehen«, meinte ich.
»Vielleicht hat Delory bereits eine Hypothek auf Mister Hardmans Grundstück aufgenommen«, rätselte Phil. »Ich möchte überhaupt wissen, wovon der Kerl lebt.«
»Scheinbar hat er Geld, sonst könnte er das Haus in der 119. Straße nicht unterhalten, ebenso wenig wie sein bestimmt
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