0318 - Im Reich der Monster-Spinnen
Sekunden konnte sie es nicht fassen. Ihr war nichts weiter geschehen. Sie hatte eine lange Strecke hinter sich gelassen und zu einer sanften Landung angesetzt. Über ihr mußte die Bodega liegen.
Claudia schaute nach oben. Sie legte den Kopf in den Nacken, doch eine Decke oder ähnliches konnte sie beim besten Willen nicht erkennen.
Ein paarmal schluckte sie, schüttelte gleichzeitig den Kopf und versuchte, sich auf die veränderten Gegebenheiten zunächst einmal einzustellen.
Was war ihr passiert?
Eigentlich nichts Schlimmes, denn sie lebte noch, und das war für sie das Wichtigste. Sie mußte, wenn sie nicht alles täuschte, in einem Keller stehen.
Unter der Bodega!
Plötzlich begann sie zu lachen. Keller unter der Bodega. Nein, das war ein Irrtum.
Es gab keinen Keller, keinen so tiefen. Sie war in den Schacht gefallen, in den Berg, hinein ins Grauen, in das Reich des schrecklichen Okastra.
Sie war gefangen!
Daran gab es nichts zu rütteln, und darüber machte sich die Frau auch keinerlei Illusionen. Wenn Okastra einfach verschwand, mußte er schon sehr sicher sein, daß sie es nicht schaffen würde, diesem unheimlichen Gefängnis zu entfliehen.
Und so wartete sie ab.
Zunächst einmal freute sie sich darüber, ihr Leben behalten zu haben.
Nur, was war das noch für ein Leben. Gefangene eines Monstrums zu sein, das nicht menschlich dachte und reagierte, sondern seiner Gefangenen irgendwann überdrüssig sein würde und sie erschlug oder erstach. Darauf lief es letzten Endes hinaus.
Nichts hatte genutzt, gar nichts. Auch nicht das Erscheinen des John Sinclair. Ihn hatte es sicherlich auf dem Friedhof erwischt.
Claudia konnte sich kaum vorstellen, daß die andere Seite sich irgendeine Blöße gab. Sie deckte sich ab, so gut es ging.
Aus diesem Grunde zerplatzte auch die Hoffnung der Gefangenen.
Wenn sie sich auf jemand verlassen sollte, dann nur auf sich selbst.
Sie schaffte es, ihre Angst unter Kontrolle zu bekommen, und sie dachte darüber nach, wie es weitergehen sollte. Aus eigener Kraft würde sie dem Berg nicht entkommen, wie aber dann?
Wer sollte ihr Hilfe geben?
Sie überlegte hin und her. Dabei erinnerte sie sich auch an die Worte des leider gestorbenen Aldo, der vor dem Berg gewarnt hatte, denn Aldo hatte gewußt, daß in dessen Innern sich eine Hölle abspielte. Der Berg war ein einziges großes Gefängnis, in dem es zahlreiche Kammern, Stollen, Gänge und Verliese gab.
Ein Labyrinth des Schreckens!
Aldo hatte Bescheid gewußt und dieses Wissen mit seinem Leben bezahlen müssen.
Irgendwann kam Claudia nicht mehr weiter. Da war sie einfach mit ihren Gedanken am Ende und mußte sie erst wieder neue formulieren.
Doch es gab nichts mehr, woran sie denken konnte, sie hatte über alles schon nachgedacht.
Jetzt kehrte die Angst zurück.
Der lange Moment der ersten Lösung war verstrichen. Plötzlich kam das Zittern. Ohne es zu wollen, schlugen die Zähne aufeinander, sie spürte das Gummigefühl in den Knien. Es erfaßte ihren gesamten Körper, erreichte sogar die Schultern, die dabei in hektische Bewegungen gerieten. Claudia hatte lange nicht mehr geweint.
Nun konnte sie nicht anders.
Sie mußte es einfach, und sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Dabei starrte sie zu Boden, den sie nicht einmal sah, denn sie konnte die eigene Hand nicht vor den Augen erkennen.
Irgendwann versiegte der Tränenstrom. Claudia fror. Es war nicht die Kälte, die ihr dieses Gefühl vermittelte, sondern die Ungewißheit, und sie starrte hinein in die Finsternis, in die plötzlich ein winziges Licht stach.
Eine Flamme!
Auch von ihr aus zu sehen und nicht größer als ein Daumennagel.
Sehr blaß, sehr unruhig, flackernd und dabei kaum größer werdend, so daß sie das Gefühl hatte, die Flamme würde stehenbleiben.
Ein Irrtum.
Sie kam näher!
Claudia spannte sich. Mit einemmal war die Angst vergessen. Jetzt sah sie nur noch nach vorn, bohrte den Blick in die Finsternis, wischte sich noch die Augen klar und konnte anschließend besser erkennen, was sich da tat.
Die Flamme wurde wie eine Kerze gehalten. Etwa in Brusthöhe.
Von einer Frau.
Sie sah deren Umrisse, das blonde Haar, ein dünnes, getupftes Sommerkleid und ein Gesicht, das nicht einmal unhübsch war, doch die Spuren eines harten Überlebenskampfes zeigte.
Die Frau blieb stehen.
Vielleicht zwei Schritte trennten die beiden, die sich stumm anschauten.
Niemand traute sich, mit einem Wort eine Brücke zu schlagen. Bis sich Claudia ein Herz
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