032 - Das Schädelhaus im Todesmoor
rettungslos festsaß.
Atax hätte das Geschwisterpaar weiter lenken können, doch er wollte sehen, was sie machten, wenn er ihnen die Möglichkeit einräumte, sich frei zu entscheiden.
***
»Was nun?« fragte Fanny. Sie blickte unentwegt dorthin, wo Atax gestanden hatte. Das spiegelnde Ungeheuer war nicht mehr zu sehen. Aber nichts konnte das Mädchen davon abbringen, daß dort ein Monster gestanden hatte.
»Das Unwetter läßt etwas nach«, sagte Ned Burnett. »Wir sollten versuchen, zu Fuß…«
Fanny schüttelte heftig den Kopf und erwiderte schrill: »Ich steige nicht aus! Keine zehn Pferde kriegen mich aus dem Wagen!«
»Hast du Angst, naß zu werden?«
»Der Regen würde mich nicht stören…«
»Die Blitze?«
»Auch nicht. Dieses Ungeheuer ist es…«
»Ach ja, das hab’ ich schon wieder vergessen.«
»Laß diesen sarkastischen Ton, Ned!«
»Nun werd’ mir nicht hysterisch, verdammt! Wir sitzen hier fest. Ohne Hilfe kommen wir von hier nicht weg. Also müssen wir uns etwas einfallen lassen. Oder willst du bis zum Jüngsten Tag im Wagen sitzen bleiben? Worauf willst du warten? Auf ein Wunder? Hier kömmt mit Sicherheit keiner vorbei, der uns entdeckt. Wir müssen uns selbst helfen.«
Fanny schüttelte heftig den Kopf. »Sag, was du willst, ich steige nicht aus!«
»Herrgott noch mal, jetzt reiß dich endlich zusammen, Fanny!«
sagte Ned Burnett gereizt. »Was soll denn das Gezeter? Das Gewitter macht dir Angst. Okay. Es gibt viele Mädchen und Frauen, die sich fürchten, wenn es blitzt und donnert. In deiner Aufregung bildetest du dir ein, ein Gespenst gesehen zu haben. Auch gut. Ich sage nicht, daß du spinnst. Ich verlange von dir nur, daß du tust, was ich von dir verlange.«
»Ich bleibe im Wagen!« stellte Fanny energisch fest.
»Na schön, dann bleibst du eben im Wagen, und ich gehe allein Hilfe holen.«
»Ned!«
»Ich hab’s satt, mich mit dir herumzustreiten!« knurrte er und stieg aus.
»Ned, du… du läßt mich doch nicht wirklich allein.«
»Und ob ich das tue!«
»Du kannst mich doch nicht… Ich bin deine Schwester, Ned!«
»Ja, das auch, aber vor allem bist du eine schrecklich hysterische Ziege! Also was ist nun? Steigst du auch aus, oder bleibst du im Wagen?«
»Du hättest nicht in den Wald fahren dürfen!«
»Danach habe ich dich nicht gefragt. Ich möchte wissen, wie du dich entschieden hast!« Er stand im strömenden Regen und wartete. Aber sie sah ihm an, daß er nur noch wenige Augenblicke zu warten gewillt war.
Dann würde er fortgehen und sie allein lassen. Allein in diesem unheimlichen Wald, in dem es ein grauenerregendes Ungeheuer gab. Was würde dieses spiegelnde Monster tun, wenn Ned nicht mehr hier war?
Würde es sie sich holen? Mit zitternder Hand griff Fanny nach dem Türöffner. Der Regen klatschte ihr ins bleiche Gesicht. Sie spürte es kaum.
Ned atmete auf. »Na endlich«, sagte er und streckte seiner Schwester die Hand entgegen. Sie ergriff sie. »Komm«, sagte er, und dann marschierten sie los.
Patschend und schmatzend hörten sich ihre Schritte an.
Schlamm spritzte hoch. Fanny stolperte immer wieder, doch Ned hielt sie so fest, daß sie nicht fallen konnte.
Kein Wort sagte sie mehr, aber in ihr Gesicht stand unverkennbar die Angst geschrieben. Fortwährend warf sie auch einen Blick zurück, denn sie war davon überzeugt, daß ihnen dieses spiegelnde Ungeheuer folgte.
Zu sehen war das Wesen allerdings nicht. Das ließ Fanny allmählich wieder zaghaft hoffen. Vielleicht schaffen wir es, dachte sie, den Tränen nahe. Vielleicht kommen wir durch.
»Wir müssen uns mehr rechts halten, Ned«, meinte sie nach einer Weile.
»Du möchtest wohl, daß wir im Kreis laufen.«
»Wenn wir hier weitergehen, kommen wir in das Gebiet, das man früher das Todesmoor nannte.«
»Ja, und wenn wir immer geradeaus weiterlaufen, erreichen wir auf dem kürzesten Weg Torceston.«
»Ich möchte nicht durch das Todesmoor!«
»Es ist doch kein Moor mehr.«
»Ich will aus einem anderen Grund nicht.«
»Wenn du noch mal damit anfängst, lasse ich dich hier einfach stehen und gehe meiner eigenen Wege!«
»Du bist ein Mistkerl. Rücksichtslos und egoistisch bist du.«
»Ach, halt die Klappe!«
»Ich brauche mir eine solche Behandlung von dir nicht gefallen zu lassen.«
»Nein, brauchst du nicht. Es steht dir frei, hinzugehen, wo du willst.«
»Na warte, du Scheusal, das zahle ich dir heim, wenn wir in Torceston sind.«
»Ja, mach das mal«, erwiderte Ned
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