032 - Die magische Seuche
taugen. Unfähig, unfähig seid ihr! Ihr habt nicht operieren wollen, und jetzt, wo ihr es versucht, bringt ihr die Leute dabei um. Aber es wird euch auch passieren, euch allen, euren Frauen, euren Kindern!“
Mich fröstelte plötzlich. Lucie …
Der Mechaniker hatte zweifellos den Verstand verloren.
Ich überquerte die Straße und ging zur Polizei, um jemand zu holen, der sich seiner annahm. Als ich eben eintreten wollte, fuhr der Wagen des Leutnants heran.
Der Leutnant sprang heraus. Er sah sehr besorgt aus.
„Ist etwas geschehen?“ fragte ich.
„Schon wieder diese seltsame Erscheinung“, sagte er. „Bei Neyrat, ich komme eben von dort. Wieder ein Toter, wieder ein Bauer. Vor zwei Stunden etwa hat man mich verständigt. Aber diesmal gab es keine Augenzeugen. Trotzdem gibt es keinen Zweifel. Man hat den Unglücklichen auf seinem Feld gefunden, einen Kilometer von seinem Hof entfernt. Es muß bereits vor einigen Stunden passiert sein, sagt Dr. Sirval, der mit mir draußen war. Der Mann lag mitten in einem nassen Stückchen Land, obwohl der Himmel wolkenlos war. Die gleiche Sache wie unlängst, ganz gewiß. Ich frage mich nur, wie lange das noch so weitergeht. Das wird langsam unheimlich. Hat man übrigens schon die Ursache für den Tod von Madame Dorne gefunden?“
Ich schüttelte den Kopf. Ich sagte ihm, daß es vorläufig keinen weiteren Versuch geben würde, die Kranken zu operieren. Und dann berichtete ich ihm, was sich eben auf dem Kirchenplatz abspielte.
Er seufzte. „Das hat uns gerade noch gefehlt“, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Als ich fast daheim war und an den Nachbarhäusern entlangging, stürzte plötzlich die Fleischerin aus ihrem Laden und hielt mich am Ärmel zurück.
„Herr Doktor, Herr Doktor!“ rief sie. „Bitte kommen Sie doch herein und sehen Sie sich meinen kleinen Paul an. Er wollte heute nicht aufstehen und sagte, er wolle nie mehr aufstehen. Ich bin ganz verzweifelt. Sie wissen ja, wie sein Zeigefinger jetzt aussieht. Man kann es ja kaum mehr Zeigefinger nennen. Und sein Daumen beginnt auch schon, kürzer zu werden. Tun Sie doch irgend etwas, Herr Doktor!“
Ich ging mit ihr zusammen hinauf in das Zimmer, in dem der Junge lag. Sein Blick tat mir weh, er war voll Vorwurf und Verzweiflung.
Ich brachte nichts heraus als einige dumme Worte und versuchte vergebens, ihn ein wenig aufzumuntern. Ich gab ihm – und das mehr für die Mutter als für den Kleinen – ein harmloses Beruhigungsmittel. Dann verließ ich wie ein Bösewicht das Haus, auf Zehenspitzen und ganz schnell.
Ich überraschte Lucie im Salon. Sie war dabei, ihre Ohren im Spiegel zu betrachten. Als sie mich eintreten hörte, ließ sie schnell ihr Haar darüber fallen.
Ich tat so, als hätte ich nichts gesehen. Lucie sprach nie mehr davon, also wollte ich das Thema auch vermeiden.
„Einige Patienten sind gekommen und wieder gegangen, als sie hörten, daß du noch in der Klinik bist. Aber zwei sind noch da, Vater und Sohn, sie wollten unbedingt auf dich warten. Ich glaube, es ist der junge Bauer aus Lornat, der etwas an der Nase hat.“
Ich sah, daß meine Frau leicht zitterte.
„Du hast die beiden gesehen?“ fragte ich.
„O nein, nein! Francoise hat ihnen geöffnet. Sie hat mir gesagt, daß es die beiden sind. Und sie sagte … Nein, ich möchte lieber nicht davon reden.“
Sie schwieg einen Augenblick. „So ist also diese Madame Dorne gestorben? Schrecklich.“
Ich nickte. Dann ging ich eilig in mein Sprechzimmer.
Firmins Vater saß unruhig auf der Kante seines Sessels, als ich eintrat. „Herr Doktor! Na endlich! Wir sind gekommen, der Sohn und ich, weil wir einfach nicht mehr zuwarten können. Der Sohn ist kein Wehleidiger, das wissen Sie, und wegen Kleinigkeiten regt er sich nicht auf. Aber jetzt geht’s einfach nicht mehr, sonst wird er verrückt, der Firmin. Nein, man kann nicht mehr warten. Sie müssen etwas tun, Herr Doktor!“
Der junge Bauer saß auf dem Sofa und duckte sich etwas hinter seinen Vater. Ich hatte ihn noch nicht zu Gesicht bekommen. Jetzt stand er auf.
Mir blieb das Herz fast stehen. Er hatte keine Nase mehr, nur mehr zwei dreieckige Nasenlöcher. Sein Kopf sah aus wie ein Totenschädel, eine verzerrte Grimasse, deren Anblick Gruselschauer hervorrief.
Ich wollte am liebsten die Augen schließen und sie nicht mehr öffnen, solange diese grinsende Fratze in der Nähe war.
Doch ich trat auf Firmin zu, zwang mich zu einem Lächeln und
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