032 - Die magische Seuche
übermorgen.
Wir können morgen die Frau besuchen und ihren Gesundheitszustand untersuchen. Ihr kommt doch beide zur Operation, nicht wahr? Nicht daß ich bei einem derart lächerlichen Eingriff zwei Assistenten brauche, aber ich habe in solch einem Fall gern kompetente Zuschauer.
Ich wäre wirklich gern schon eine Woche älter, um zu wissen, wie die Sache ausgegangen ist. Oder weitere zwei Monate, ob das Gewächs wiedergekehrt ist oder nicht.“
„Es gibt auch Fälle“, sagte ich und dachte an Lucie, „wo es zu einer Schrumpfung des Gewebes kommt.“
Nelsy hob die Schultern. „Ich weiß, ich weiß. Aber wenn es bei den Geschwülsten zu Heilungen kommt, dann werden wir auch gegen die Schrumpfungen ein Mittel finden.“
Wir schwiegen.
„Um das Thema zu wechseln“, sagte Ormeil, „heute früh habe ich in der Zeitung von dem Minitornado gelesen, der ein Todesopfer gefordert hat. Außerdem habe ich gehört, Georges, daß du vor einiger Zeit ein ähnliches Erlebnis hattest, bei dem du nur knapp dem Tod entronnen bist. Davon hast du mir neulich kein Wort gesagt!“
„Oh, daran habe ich gar nicht mehr gedacht!“ sagte ich, und das war die Wahrheit.
„Nun“, meinte Philippe und schüttelte den Kopf, „hier ist man an ungewöhnliche Ereignisse ja schon gewöhnt. Blitze aus heiterem Himmel, Regenfälle aus dem Nichts, dazu diese merkwürdige Epidemie … wirklich seltsam.“
„Du wirst doch nicht sagen wollen, daß du zwischen diesen beiden Dingen einen Zusammenhang siehst?“ fragte Leon Nelsy erstaunt.
Philippe machte eine elegante Drehung. „Ihr wißt doch genau, daß es zwischen allen Dingen Zusammenhänge gibt und alles von allem abhängt.“
„Hör auf!“ rief Leon und stellte energisch sein Glas auf den Tisch. „Komm mir nicht mit der Philosophie! Damit findest du immer einen Korken, der auf jede Flasche paßt.“
„Zu Tisch!“ rief Lucie von der Tür her.
Die Operation Madame Dornes fand am übernächsten Tag um zehn Uhr morgens in der chirurgischen Klinik statt. In Anbetracht der Tatsache, daß die Klinik in einer Kleinstadt stand, war sie sehr gut ausgerüstet und bot Leon Nelsy ein prächtiges Betätigungsfeld. Aber wie ich schon sagte, Hercenat war eine reiche Stadt, deren Einwohner nicht unbeträchtlich zu den teuren Installationen der Klinik beigetragen hatten.
Am Morgen zuvor war ich mit Philippe, der es ein möglicherweise richtungweisendes Experiment nannte und enormes Interesse zeigte, zu Madame Dorne hinausgefahren, um sie zu holen.
Sie wartete bereits und empfing uns mit einem Lächeln. „Endlich!“ rief sie. „Endlich hat man sich entschlossen, mich zu operieren!“
Sie war ruhig und hatte keine Spur Angst. Die Krankheit hatte sie sowieso weniger beunruhigt als die anderen Patienten.
Wir hatten sie in die Klinik gebracht, und Nelsy hatte mit uns zusammen die Untersuchungen mit einer Sorgfalt vorgenommen, als handelte es sich um eine schwere Operation. Wir machten auch einige zusätzliche Tests und warteten ungeduldig auf die Resultate. Es stellte sich heraus, daß Madame Dorne bei ausgezeichneter Gesundheit war.
„Die einzig wichtige Frage ist nun: wird das Gewächs wiederkommen oder nicht?“ sagte Nelsy abschließend. „Und das kann uns nur die Zukunft beantworten. Die Operation selbst ist so einfach und harmlos, daß sie von einem Anfänger durchgeführt werden könnte. Ich beginne mich zu fragen, warum wir nicht früher schon auf diese Idee gekommen sind. Trotzdem würde ich viel lieber ein kompliziertes Magengeschwür operieren.“
Madame Dorne war nicht im mindesten unruhig, als wir sie in den Operationssaal brachten. Sie hatte ohne Schlafmittel fest und tief geschlafen, ihr Gesicht war frisch und rosig und ihr Puls normal.
Als Leon Nelsy sah, daß die Patientin geradezu vorbildlich furchtlos und gefaßt war, beschloß er, es bei einer örtlichen Betäubung bewenden zu lassen.
Unser Freund führte die Operation mit Präzision und bemerkenswerter Geschwindigkeit durch. In neun Minuten und siebzehn Sekunden – Philippe hatte die Zeit gestoppt – war alles vorbei.
„Das war’s“, sagte Nelsy zu Madame Dorne. „Die Narbe wird kaum zu sehen sein.“
„Ich habe überhaupt nichts gespürt!“ rief die Patientin erstaunt. Ihr Puls hatte sich nur unwesentlich erhöht, die Atmung war kaum über der Norm. Alles war völlig in Ordnung.
Wir begleiteten sie zurück in ihr Zimmer, und der Chirurg riet ihr – mehr aus prinzipiellen Gründen – sich
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