032 - Seelenträger
viel davon haben würde.
Nun, da er die besten Zeit seines Leben in der Finsternis verbracht hatte, war sein Körper zu alt geworden, um ihn ins neue Zeitalter zu begleiten. Quan'rill versuchte die Trauer zurückzudrängen, doch das Gefühl der Bitterkeit war einfach zu stark.
Ein kleiner Teil seines Bewusstseins, das im Körper zurückgeblieben war, spürte wie sein Herz aussetzte.
Die Anstrengungen wurden zu groß, er musste sofort zurück!
Hastig sammelte er seinen weiträumig verteilten Geist und glitt an der dünnen Gedankenspur zurück, die zu seinem kugelförmigen Heim führte, das sich fast unsichtbar in eine Korallenbank schmiegte.
Er konnte einfach nicht von der alten Bauart lassen, die sein Volk so lange vor Entdeckungen geschützt hatte.
Wie von selbst stürzte sein Bewusstsein in die Tiefe, streifte einen Schwärm blauer Marline und durchdrang das Dach des Krankenzimmers. Einen Moment lang konnte er sich selbst aus einer erhöhten Position auf dem Seetanglager liegen sehen, dann verband sich sein wandelnder Geist mit dem geschwächten Körper. Quan'rill hasste diesen grausamen Moment, in dem er zurück in das beschränkende Gefängnis seines Leibes gezwungen wurde.
Eben noch hatte er sich frei und glücklich gefühlt, nun spürte er wieder die Schwäche und Mattigkeit eines Hydriten, der dem Tod geweiht war. Daran konnte auch das der schmerzlindernde Seetang nichts ändern, der sich sanft unter seinem Rücken wiegte.
Am liebsten hätte Quan'rill sofort wieder mit den Meditationen begonnen, die es ihm gestatteten, seinen Körper zu verlassen.
Die wundervolle Erfahrung der Seelenwanderurig war fast zu einer Sucht geworden, seit er diese Fähigkeit vor zwei Rotationen entdeckte. Und obwohl er wusste, dass die metaphysischen Experimente ihn der letzten Kraftreserven beraubten, konnte er nicht von ihnen lassen. Diese Reisen erweiterten sein Bewusstsein und verliehen ihm Kenntnis über Geheimnisse des lebensspendenden Meeres, die keinem Hydriten zuvor eröffnet worden waren.
Um seinen Plan umzusetzen, musste Quan'rill diese Fähigkeiten bis ins Letzte erforschen. Aber er durfte nicht zu weit gehen. Obwohl es ein schöner Tod sein musste, während einer Seelenwanderung zu sterben, schonte er die Kräfte für seinen letzten alles entscheidenden Versuch.
Wenn dieses Experiment gelang, hatte er wahrhaftig Ei'dons Geschenk gefunden.
Dann verfügte er über eine Gabe, mit der er dem Schicksal, das ihm den Neuanfang nach Jahren der Entbehrung verwehren wollte, ein Schnippchen schlagen konnte.
Seine Kiemenatmung beruhigte sich, der Herzschlag verlief wieder in gleichmäßigem Rhythmus. Quan'rill machte es sich zwischen den Algen bequem, um zu entspannen. Prompt fielen ihm die Augen zu.
Als er sie wieder aufschlug, war ihm, als ob er nur wenige Herzschläge geschlafen hätte. In Wirklichkeit mussten mehrere Phasen vergangen sein. Ehe er sich nach dem Grund seines Erwachens fragen konnte, drückte Nol'rill den Vorhang aus Seeanemonen zur Seite und schwamm zu ihm herein. Das intensive Leuchten ihres grünen Flossenkamms machte deutlich, dass sie aufgeregt war.
»Sie sind da«, verkündete sie mit knackenden Geräuschen, die sich im Wasser rasend schnell fortpflanzten. Sie sprach nicht aus, wer gekommen war, als befürchtete sie, dass der Besuch dadurch vertrieben würde.
Quan'rill wusste auch so, um wen es sich handelte. Seine Frau hatte strikte Anweisung, niemanden außer San'ota und ihren Sohn an sein Krankenlager zu lassen.
Er nickte, zum Zeichen seiner Bereitschaft.
Nol'rill verschwand hinter dem sanft wiegenden Pflanzenvorhang, nur um gleich darauf mit zwei weiteren Hydriten zurückzukehren. San'ota war eine Frau im besten Alter, etwa siebzig Rotationen alt. Ihre Flossenfärbung war stark ausgeprägt, wie bei vielen Hydriten, die in der Tiefe geboren wurden. Es schien, als wolle ihr Organismus das fehlende Sonnenlicht durch intensivere Pigmentbildung ausgleichen.
An ihrer Seite schwamm ein junger Hydrit, dessen kräftiger Körper im krassen Gegensatz zu seinen stumpfen, etwas verloren wirkenden Augen stand. Die seltsame Art, mit der er ziellos im Wasser trieb, machte deutlich, dass er Gleichgewichtsprobleme hatte. Wenn seine Mutter ihn nicht am Arm gehalten hätte, wäre er vermutlich zu Boden gesunken.
Es war kein Unfall, der Mer'ota die Beherrschung seines Körpers geraubt hatte. Er gehörte zu der Generation von Hydriten, die in den Jahren nach »Christopher-Floyd« geboren wurde. Wie viele
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