032 - Seelenträger
andere Kinder aus dieser Zeit wirkte Mer'ota äußerlich völlig unversehrt, doch sein Verstand war auf der Stufe eines Dreijährigen stehen geblieben.
Hydriten wie er waren der Grund, warum Quan'rill sich weigerte, von Ei'dons Geschenk zu sprechen - auch wenn dies viele seiner Kollegen erzürnte.
San'ota blickte den Wissenschaftler hoffnungsvoll an und näherte sich ihm unterwürfig. »Man sagte mir, Ihr könnt meinem Sohn vielleicht helfen, weiser Quan'rill.«
»Möglicherweise«, dämpfte er ihre Hoffnung. Selbst diese Antwort war eine schamlose Lüge, aber er konnte seinem Volk nicht eröffnen, was er wirklich vorhatte.
Noch nicht. Wenn das Experiment Erfolg hatte, würde er allerdings von allen Seiten Unterstützung bekommen, dessen war er gewiss.
»Führt Mer'ota zu mir«, verlangte er von der Mutter.
»Ich will sehen, was ich für ihn tun kann.«
Mit zwei kurzen Schlägen seiner Flossenhände manövrierte sich Quan'rill in eine aufrechte Lage. Durch Wasseraufnahme verkleinerte er sein Schwimmblase, sodass er auf die Knie sinken konnte.
Die beiden Frauen dirigierten Mer'ota in eine ähnliche Position, bis sich die beiden auf dem Korallenboden gegenüber saßen. Der junge Hydrit sah den alten Wissenschaftler verständnislos an, als könne er nicht begreifen, was hier vor sich ging. Nur die Anwesenheit seiner Mutter verhinderte, dass er in Panik geriet.
Quan'rill setzte ein falsches Lächeln auf, um Mer'ota zu beruhigen. Dann streckte er seine Flossenhände aus und tastete mit den filigranen Gliedern über den Kopf des Schwachsinnigen. Ein feines Knistern sprang zwischen Schläfen und Fingerkuppen über, genau so wie der Wissenschaftler gehofft hatte.
Da wusste er, dass sein Plan gelingen würde.
Einmal mehr sammelte er sein Bewusstsein, um es auf eine letzte Reise zu schicken. Diesmal zerrte er mit einer Kraft, die er nie zuvor einzusetzen wagte.
Komprimierte all seine Gedanken, Erinnerungen - das, was ihn ausmachte - auf einen winzigen Punkt, der wie ein glühender Lavatropfen in seinem Brustkorb pochte. Dann jagte er die Energie durch seine Fingerspitzen und hämmerte sie in die Schläfen des jungen Hydriten.
Mer'ota begann zu zappeln, als er das fremde Bewusstsein spürte, das in seine Hirnwindungen drang. Er wollte sich aus Quan'rills Griff befreien, doch die eigene Mutter umklammerte ihn mit aller Kraft, um ihm ruhig zu stellen.
Gleißende Blitze woben ein bizarres Netz um den vibrierenden Kopf, während Quan'rill seine Seele vollständig löste.
Er kappte alle Verbindungen zu seinem eigenen Körper. Stieß mit aller Macht in Mer'otas Verstand vor, drängte das schwache Bewusstsein in den hintersten Winkel des Gehirns zusammen und versuchte den neuen Körper zu übernehmen.
Doch Mer'ota wehrte sich. Er mochte von minderer Begabung sein, aber seine Instinkte funktionierten einwandfrei.
Quan'rill erschrak!
Mit so viel Widerstand hatte er nicht gerechnet.
Für eine Rückkehr war es allerdings zu spät.
Die Anstrengungen hatten seinem altersschwachen Körper längst den Todesstoß versetzt.
Jetzt hieß es alles oder nichts! San'ota und Nol'rill blieb der unsichtbare Kampf verborgen. Sie konnten nur sehen, wie der greise Wissenschaftlers erschlaffte und langsam zu Boden sank.
»O Ei'don«, jammerte San'ota, während sie sich an ihren Sohn klammerte.
»Was habe ich getan? Es war zu viel für den Weisen!«
Nol'rill schien weitaus gefasster. Sie konzentrierte sich einzig und allein auf den jungen Hydriten, dessen Körper sich in konvulsivischen Zuckungen wand.
Dann, von einen Moment zum anderen, war der Spuk vorbei.
Mer'ota richtete sich selbstbewusst auf, als wenn nichts Besonderes vorgefallen wäre. Sanft entzog er sich dem Griff der Frauen. Seine zielsicheren Bewegungen und die Art, wie er sein spezifisches Gewicht regulierte, machten deutlich, dass er sich völlige unter Kontrolle hatte.
»Schon gut, es ist alles in Ordnung«, beruhigte er seine Mutter.
Ungläubig starrte San'ota auf ihren Sohn, der zum erstem Male in seinem Leben mit ihr gesprochen hatte. »Ein Wunder ist geschehen«, stammelte sie.
»Ei'don sei Dank!« Ihre grünen Flossenpigmente pulsierten vor Aufregung in schnellem Takt.
Mer'ota wandte sich Quan'rills leblosem Körper zu, der neben ihm trieb.
»Warum eilst du nicht voraus, um unserer Gemeinschaft von den Neuigkeiten zu berichten«, schlug er seiner Mutter vor.
»Ich werde solange dem Weisen die letzte Ehre erweisen.«
San'otas Blick pendelte unsicher
Weitere Kostenlose Bücher