032 - Seelenträger
zeichnete sich Mitleid für den Menschen ab, während Mer'ol triumphierend grinste.
Matthew durchlief ein Wechselbad der Gefühle. Überraschung und Euphorie wechselten rasch einander ab, doch obwohl er sich drüber freute, dem Tod von der Schippe gesprungen zu sein, beschlich ihn blankes Entsetzen bei der Frage, was wohl die Ursache für diesen widernatürlichen Umstand sein könnte?
Matt fürchtete sich vor dem, was er herausfinden könnte, doch das Wissen um die Wahrheit schien ihm allemal besser zu sein als lähmende Ungewissheit. Insgeheim bereitete er sich auf das Schlimmste vor. Trotzdem stieß er einen entsetzten Laut aus, als seine Fingerkuppen die Einschnitte berührten, die auf beiden Seiten seines Halses klafften.
Bei jedem Atemzug strömte durch die Kerben Wasser ein und aus.
»Was habt ihr mit mir gemacht?«, schrie er die Hydriten an, obwohl ihm klar war, dass es sich um Kiemen handelte.
Die Frage drang nur verzerrt aus der überfluteten Kehle, trotzdem verstanden seine Peiniger jedes Wort.
»Sie brauchen keine Angst zu haben«, versuchte ihn Bel'ar zu beruhigen. »Es ist nur ein harmloser Eingriff, der es Ihnen erlaubt, uns nach Hykton zu begleiten. Die Seelenwanderung kann nur in unserem dortigen Laboratorium vorgenommen werden.«
Matt wäre der Hydritin am liebsten an die Kehle gesprungen, um ihr zu zeigen, was er von diesem harmlosen Eingriff hielt, doch etwas in seinem Inneren dämpfte die aufsteigende Wut. Ehe er die Fragen abfeuern konnte, die ihm auf der Seele brannten, erhielt er die Antworten von gänzlich unerwarteter Seite.
Sie wollen mir nur endlich meinen neuen Körper geben, dröhnte es dumpf in seinem Kopf. Und plötzlich ahnte Matt die Zusammenhänge. Noch ehe sich der unglaubliche Gedanke weiter verfestigen konnte, fuhr die Stimme fort: Ja, ich bin es wirklich - Quart'ol. Ich bin nicht an der Küste Britanas gestorben, da ich ein Quan'rill, ein Seelenwanderer bin.
Schon lange vor unserem Zusammentreffen habe ich mich darauf vorbereitet, in einen neuen Körper zu schlüpfen. Der Armbrustpfeil, der mich durchbohrte, machte diese Pläne zunichte. Mir blieb nichts anderes übrig als einen Gastkörper zu wählen, in dem ich überdauern konnte. Du warst der Einzige, der mir im Moment des Todes nahe genug kam, doch die menschliche Physiognomie unterscheidet sich gravierend von der unseren.
Deshalb war ich dazu verdammt, mich in einem Winkel deines Geistes zu verbergen, bis mich die Rufe meines Volkes erreichten.
Matthew hörte die Worte, doch er weigerte sich, den Inhalt zu erfassen. Das darf doch nicht wahr sein!, schrie es in ihm. Wie und wann soll das geschehen sein ? Davon hätte ich doch etwas merken müssen!
Quart'ol sparte sich weitere Erklärungen.
Stattdessen sandte er Erinnerungen an die Vergangenheit. Matt sah vor seinem geistigen Auge noch einmal, wie der sterbende Quart'ol seine Hand ergriff.
Und erfühlte wieder, wie sehr die Berührung damals gebrannt hatte, wie ihm schwindelig geworden war.
Hatte in diesem kurzen Moment wirklich der Hydriten-Wissenschaftler seine Seele auf ihn übertragen? War das tatsächlich möglich? Oder gaukelten Mer'ol und die anderen Fischmenschen ihm nur etwas vor, um ihn für den vermeintlichen Mord zu quälen?
Obwohl sich Matt noch eine Unzahl von anderen Erklärungen aufdrängte, begann er bereits die Tatsache zu akzeptieren, dass sein Körper wirklich zum Behältnis für Quart'ol Seele geworden war.
In den vergangenen fünfzehn Monaten hatte er zahllose Phänomene erlebt, die sein Schulwissen überstiegen. Warum sollte ein Volk von Meeresbewohnern, das ihm innerhalb weniger Stunden Kiemen implantieren konnte, nicht auch zur Seelenwanderung fähig sein?
Matt wusste, dass der größte Teil des menschlichen Gehirns nicht aktiv genutzt wurde. Dort befand sich zweifellos genügend Speicherkapazität, um einem zweiten Bewusstsein Platz zu bieten. Die Verbindung mit Quart'ols Geist erklärte auch, warum er plötzlich die Sprache der Hydriten verstand.
Ein Gefühl der Erleichterung machte sich in Matt breit.
Seit Quart'ols Tod plagten ihn Schuldgefühle, weil er den Wissenschaftler zu einem Besuch der Oberfläche überredet hatte. Wenn der Hydrit wirklich in ihm weiter lebte, konnte er diesen Fehler wieder gutmachen.
Den Hydriten blieb der stumme Kampf, der in seiner Brust tobte, nicht verborgen.
»Begleiten Sie uns bitte«, bedrängte ihn Bel'ar. »Ich versichere Ihnen, dass unser Volk Sie fair behandeln wird, wenn Sie uns bei der
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