032 - Töchter der Nacht
Kriegskunst unterrichtet hätten.
Dann erhob er sich, denn Stella Markham näherte sich. Sie sah noch immer etwas angegriffen aus, obgleich schon zwei Tage seit ihrem Schwächeanfall vergangen waren. Sie machte den Eindruck, als ob sie kaum geschlafen hätte, und sie bestätigte dies auch gleich zu Beginn der Unterhaltung.
»Ich habe heute morgen den Tagesanbruch und den Sonnenaufgang miterlebt.«
»Mir ist das auch an zwei Morgen passiert«, warf Margot lächelnd ein. »Leiden Sie an Schlaflosigkeit?«
»Nein, sonst nicht. Erst seit ich Tor Towers verlassen habe, kann ich nicht mehr richtig schlafen.« Mrs. Markham schaute auf. »Warum bin ich nur von dort abgereist?«
»Aber Sie kehren doch zurück?«
»Es bleibt mir nicht viel anderes übrig. Ich muß es vor allem tun, um die Versicherungssumme für meine gestohlenen Juwelen herauszubekommen. Ich habe ein Telegramm an eine Rechtsanwaltsfirma nach London gesandt, die meine Interessen wahrnehmen soll. Ich glaube, es wird mir auch gelingen, meine Ansprüche durchzusetzen. - Nun, was gibt's?«
Die letzten Worte hatte sie an Mr. Winter gerichtet, der nicht mehr so vergnügt und wohlwollend aussah wie früher. Immerhin stand er in bescheidener Haltung vor Mrs. Markham.
»Es ist eben ein Telegramm für Sie angekommen - es liegt in Ihrer Kabine, Madame.«
»Schon gut, Winter -«, sagte sie und entließ ihn mit einem Kopfnicken. »Auch er erholt sich allmählich wieder«, bemerkte sie, als er gegangen war. »Ich mochte nur wissen, was Mr. Price zugestoßen ist.« Sie stand auf und sah die Reihe der Deckstühle entlang. Von weitem entdeckte sie den weißen Verband des Pfarrers. »Wissen Sie es, Miss Cameron?«
»Ja. Soviel ich weiß, hatte er gestern abend einen Unfall oben auf dem Bootsdeck.«
»Einen Unfall? Davon habe ich noch gar nichts erfahren. - Entschuldigen Sie, Miss Cameron.«
Sie ging nach vorn zu Mr. Price und setzte sich neben ihn auf einen freien Deckstuhl.
Margot fühlte sich unruhig und nervös, legte ihr Buch hin und ging auf und ab. Unterwegs schloß sich ihr der kleine Deutschamerikaner an, der mit ihr zusammen am Tisch des Zahlmeisters saß.
Er befand sich auf der Rückreise nach Amerika, um sich dort zu verheiraten. Zuerst war er etwas scheu, doch als sie ihn ausfragte, antwortete er bereitwillig.
Sie hatte schon zum zweiten Mal die Runde auf dem großen Deck gemacht und näherte sich wieder der Stelle, wo sich Mrs. Markham immer noch mit dem Pfarrer unterhielt. Im gleichen Augenblick sah sie, daß Mr. Winter aus dem Innern des Schiffs ins Freie trat. Er blieb in einiger Entfernung stehen und wartete, bis Mrs. Markham zu ihm hinsah. Daraufhin stand sie auf und ging nach unten. Mr. Winter folgte ihr.
24
Es war bereits spät am Nachmittag, als Margot Mrs. Markham wiedersah. Diesmal trafen sie sich in der Gesellschaftshalle, wo Margot Tee trank und der Bordkapelle lauschte. Sie dachte an Jim, der unten im heißen Maschinenraum arbeitete. Jede Umdrehung der Schiffsschraube, die den schwimmenden Koloß erzittern ließ, erinnerte sie daran, wie sehr Jims Zukunft noch an einem Faden hing.
Mrs. Markham rauschte herein. Sie trug ein wunderbares Kleid, und die neidischen Blicke vieler Frauen folgten ihr.
Vom Steward ließ sie sich einen Armsessel an Margots Tisch rücken. »Wo wohnen Sie in New York?«
Margot gab ihr die Adresse an.
»Wie interessant - das ist auch mein Hotel! Ich freue mich, Sie dort wiederzusehen. Ich fahre allerdings sofort weiter nach Richmond, aber in einer Woche oder spätestens in zehn Tagen komme ich nach New York zurück.«
Margot kam zum Bewußtsein, wie sehr sich Stella Markhams Benehmen geändert hatte. Zuerst hatte sie sie etwas von oben herab behandelt, dann hatte sie sie bemuttert, und jetzt sah es so aus, als ob sich ein mehr freundschaftliches Verhältnis anbahnte.
Sie sprach von Devonshire und versuchte, Margot dazu zu bringen, etwas von ihrem Leben in Moor House zu erzählen. Sie drückte ihr Bedauern darüber aus, daß sie sie während ihres Aufenthaltes in England nie getroffen hatte.
»Werden Sie in New York abgeholt?« fragte sie schließlich.
»Ja. Der Rechtsanwalt meines Bruders erwartet mich.«
»Wer ist sein Rechtsanwalt?« fragte Mrs. Markham interessiert. »Ich wende mich stets an Peak and Jackson.«
»John B. Rogers ist Franks Freund. Er ist außerdem Oberstaatsanwalt des Staates.«
»Ich kenne ihn«, nickte Stella. »Wenigstens dem Namen nach. Jedermann in New York kennt ihn
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