032 - Töchter der Nacht
anredete.
»Was sollte ich in Ihren Räumen zu suchen haben?« fragte er überrascht. »Ich bin nicht dort gewesen!«
Sie zeigte ihm die Zigarrenasche, die sie in einem Briefumschlag untergebracht hatte.
Er lachte.
»Ach, Sie sind ein kleiner Sherlock Holmes, entdecken Zigarrenasche und ziehen Ihre Schlüsse daraus? Nun, von mir stammt sie nicht. Ich rauche eine besondere Sorte.«
»Ja, die kenne ich genau«, erklärte sie mit Nachdruck.
»Es ist eine italienische Marke, aber es gibt verschiedene Leute an Bord, die sie rauchen. Ich könnte Ihnen ein paar nennen. Überhaupt, warum sollte ausgerechnet ich in Ihre Kabine eindringen, Miss Cameron? Ich weiß nicht einmal, wo sie liegt.«
Nachdem er die Sache so entschieden abstritt, blieb ihr nichts anderes übrig, als seine Versicherungen anzunehmen und sich zu entschuldigen. Vielleicht war er zufällig in die Kabine geraten, und da er geraucht hatte, war er ja wahrscheinlich unabsichtlich hineingegangen. Sonst hätte er sich doch nicht auf diese unbesonnene Art und Weise selbst verraten wollen.
Als sie später allein war, dachte sie noch lange darüber nach, und es fiel ihr ein, daß sie ihn noch nie ohne Zigarre gesehen hatte.
Aber wenn Visconti trotz allem in ihre Räume eingedrungen war - was hatte er bei ihr gesucht? Dieses Problem wollte sie später mit Jim besprechen.
Nach Tisch kam ihr in den Sinn, daß sie doch wenigstens den Namen der Dame wissen sollte, die nach der Konfektschachtel fragen würde, und darum ging sie nochmals zu Mrs. Markhams Kabine.
Allem Anschein nach hielt sie sich auch darin auf, denn Margot sah am vergitterten Oberlichtfenster der Tür, daß drinnen Licht brannte. Auch konnte sie Stimmen hören. Sie klopfte und drückte gleichzeitig die Klinke nieder. Soeben hatte sie Stella Markhara noch beim Abendessen gesehen - so rasch konnte sie sich also nicht ausgezogen haben. Zu ihrer Überraschung fand Margot die Tür aber verschlossen.
»Wer ist da?« fragte Mrs. Markham, aber ihre Stimme klang so merkwürdig und fremd, daß sie kaum zu erkennen war.
»Ich bin es, Margot Cameron. Ich möchte Sie etwas fragen.«
»Einen Augenblick.«
Das Licht wurde ausgedreht, und die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt weit. Selbst bei dieser schlechten Beleuchtung konnte Margot sehen, daß Stella rotgeweinte Augen hatte.
»Was wünschen Sie?«
»Ich möchte den Namen der Dame wissen, die nach dem Konfekt fragen wird.«
»Ich sage es Ihnen später. Wollen Sie mich jetzt entschuldigen?«
Mrs. Markham machte die Tür wieder zu, und Margot hörte aufs neue die leisen Stimmen im Innern. Die andere Person war allem Anschein nach auch eine Frau. Die Stewardeß konnte es unmöglich sein, denn Margot traf sie kurz darauf auf der Treppe. Wer also mochte die Besucherin sein? Im allgemeinen war Margot nicht neugierig, aber jetzt hielt sie es für ihre Pflicht, alle möglichen Informationen zu sammeln, um Bartholomew zu helfen.
Sie ging nicht aufs Promenadendeck, sondern trat in den großen Gesellschaftssaal. Von ihrem Platz nahe bei der Tür aus konnte sie die Kabinentür von Mrs. Markham im Auge behalten. Sie wartete eine halbe Stunde, dann wurde ihre Geduld belohnt - die Besucherin kam heraus.
Die Dame begab sich weder auf Deck, noch steuerte sie dem Gesellschaftssaal zu. Sie bog vorher in einen Seitengang ein, von wo, wie Margot wußte, eine kleine Treppe zum unteren Deck führte. Sofort faßte sie ihren Entschluß. So schnell sie konnte, eilte sie zum C-Deck hinunter. Sie vermutete zwar nur, wer die Besucherin sein könnte, aber als sie unten ankam, konnte sie gerade noch sehen, wie die Dame in der Kabine von Mrs. Dupreid verschwand.
Es mußte also Cedles Freundin sein. Margots Gedanken wirbelten durcheinander, bis sie es aufgab, weiter darüber nachzudenken. Doch wollte sie alles Jim mitteilen, der vielleicht die Zusammenhänge durchschauen würde. Sie verließ sich auf ihn und glaubte, daß er bereits verschiedenes aufgeklärt haben mußte.
Dieser ganze Kreis von Leuten ihrer Umgebung stürzte sie mehr und mehr in Verwirrung. Warum besuchte Mrs. Dupreid Stella Markham, und warum hatte diese geweint? Es war alles so rätselhaft.
Schließlich suchte sie die Bibliothek auf und nahm ein Buch von Walter Scott aus dem Regal. Diese weitentlegenen Geschichten aus dem frühen Mittelalter beruhigten sie.
Um elf Uhr wurde das Licht in der Bibliothek teilweise ausgeschaltet, um die Passagiere zum Verlassen des Raumes aufzufordern. Margot wartete noch
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