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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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dauernd im Weg sein. Niemand brauchte ihn. Er war nutzlos, nur eine Belastung.
    Er starrte ins Leere und wünschte sich, er könne diese abscheuliche Selbsterkenntnis aus dem Bewusstsein verbannen, sie begraben, verstecken, verbrennen, aber es war nichts Körperliches, das er hätte verbannen, verbrennen oder mit einem Dolch herausschneiden können. Es war nicht einmal ein verständlicher Kummer, wie der, den er so lange mit sich herumgetragen hatte. Er hatte sich nicht geschämt, ihn zu zeigen. Aber dieses grässliche, schwärende Geschwür der Erkenntnis, zu wissen, dass er ein Niemand war, musste vor Telor und Carys verborgen werden, denn sonst würde der Freund glauben, er habe ihm Unrecht getan. Trotzdem hasste Deri sie beide, hasste sie, weil sie einander brauchten, und zum ersten Mal im Leben fand er, seine Seele sei ebenso verkrüppelt wie sein Körper.
    In der Zwischenzeit hatte Carys zwei der Soldaten gefunden, die sich wanden und zappelten, aber immer noch gefesselt waren. Der dritte Mann war tot. Die anderen beiden Männer wurden so still wie der Tote und gaben, als sie ihnen die Spitze des Dolches vorhielt, keinen Laut von sich. Ohne sich weitere Umstände zu machen, raubte sie sie flink aus, nahm ihnen die Waffengürtel mit den Schwertern, Dolchen und Beuteln ab und vergaß auch nicht nachzusehen, ob die Männer einen weiteren Beutel auf der Brust trugen. Einer von ihnen hatte einen weichen Ledergürtel unter seiner Brayette.
    Es war leicht, ihnen die Beutel und den Ledergürtel wegzunehmen, doch das Fleddern der Leiche kam Carys wie ein Albtraum vor, der nie ein Ende zu nehmen schien. Der schwere, schlaffe Körper schien entschlossen zu sein, sich an ihr zu rächen, indem er sich ihr widersetzte. Endlich fand sie heraus, wie sie ihn handhaben musste, zog dann die Leiche bis auf die Brayette aus und häufte die ganze Beute auf das Hemd, damit sie es an sich raffen und wegrennen konnte, falls das notwendig wurde.
    Telor zischte ihr aus dem Gebüsch etwas zu, als sie im Begriff war, dem Toten die Brayette auszuziehen, und sie erstarrte. Angestrengt lauschte sie auf die Geräusche einer sich auf der Straße nähernden Reisegruppe. Alles blieb jedoch still, und wider Willen kicherte sie vor sich hin, als sie begriff, dass Telor sie nicht gewarnt, sondern nur gewollt hatte, dass sie den Toten nicht vollends entblößte. Das kam ihr albern vor, denn sie war sicher, dass es einem Toten gleich war, nackt zu sein, aber sie war froh, als sie endlich mit dem Plündern fertig war, alles, was sie eingesammelt hatte, in dem Hemd zu einem Bündel zu machen und die Sachen auf das Pferd zu heben.
    „Such Deri", sagte Telor, nachdem er aus dem Gebüsch gekommen war, sich zu ihr gesellt und ihr die Zügel des Pferdes, das sie führte, abgenommen hatte. „Du bist mir zu gründlich."
    Sie erinnerte sich, dass er etwas gegen das Stehlen hatte. "Nun, bis jetzt musste ich nie in die Rolle eines Gesetzlosen schlüpfen", erwiderte sie. „Ich war der Meinung, dass s°lche Leute einfach alles an sich nehmen würden."
    Seine Miene erhellte sich. Es hatte Telor nicht gefallen, ^ie schnell Carys die Stellen gefunden hatte, an denen von
    den Männern ihre Wertsachen versteckt worden waren. Es hatte den Anschein gehabt, sie wisse aus Erfahrung, wo sie suchen müsse, und er hatte Schuldgefühle, weil den Männern alles abgenommen worden war, selbst die kleinen Ersparnisse, die sie zu verbergen versucht hatten.
    „Nun, das gefällt mir nicht", gestand er und lächelte sie an. „Aber das ist eindeutig dumm. Wir haben wahrscheinlich nur das gestohlen, was diese Männer anderen abgenommen haben, und Deri und ich brauchen die Kleidung der Toten. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich an alte, nutzlose Gebote zu klammern."
    „Sie sind nicht nutzlos", entgegnete Carys heftig. „Es ist dumm zu stehlen, es sei denn, dass es, so wie jetzt, gefährlicher wäre, nicht zu stehlen."
    Sie redete aus Erfahrung, nicht aus moralischer Überzeugung, denn es war ein unnötiger Diebstahl gewesen, der Morgan das Leben gekostet und das ihre fast zerstört hätte. Telor legte in ihre Worte eine ganz eigene Bedeutung und war so von der Schönheit ihres Wesens berührt, die, wie er fand, auf Grund der ihr eigenen Reinheit jeder Verderbtheit widerstanden hatte, dass er Carys in die Arme zog.
    Nachdem er ihre Lippen berührt hatte, begann er, Verderbtheit in einem ganz anderen, viel besseren Licht zu sehen und an eine Spielart davon zu denken, die

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