0325 - Die Loge der Henker
Risiko darstellte.
Nachts auf die Lauer legen, Werwolf abwarten, auf erkanntes Ziel ein Schuß Einzelfeuer frei mit Silberkugel – das war’s dann.
Aber Nicole unterschätzte die Verschlagenheit dieses Menschenwolfes.
Und sie dachte nicht an die Dämonen-Henker…
***
Pierre Lacom und Philippe Gardin sahen die feindlichen, abweisenden Blicke der Dorfbewohner auf sich ruhen. Dennoch mußten sie hier anhalten. Ihre Pferde brauchten dringend Ruhe.
Die beiden Studenten aus reichem Elternhaus hatten nicht nur die finanziellen Mittel, an der exklusiven Sorbonne in Paris zu studieren, sondern brauchten auch nicht in den Semesterferien einen Job zu suchen und konnten statt dessen mit eigenen Pferden einen Reiterurlaub quer durch Frankreich und Spanien machen. Bis hinunter nach Gibraltar und zurück wollten die beiden Studenten.
Sie hatten kaum Gepäck dabei, weil man im Sattel nicht viel mitführen kann. Dafür aber genügend Geld in der Tasche um sich alles, was gebraucht wurde, kaufen zu können.
Die beiden Männer, die Jeans und topmodische Jacken trugen, waren vorzüglich beritten. Doch jetzt, nach dem steilen Paß, brauchten die Pferde dringend eine Rast.
Pierre Lacom führte seinen Schimmel zu dem Ziehbrunnen und zog einen Eimer mit Wasser hoch. Vorsichtig trank das Pferd, während Pierre es seinem Freund Philippe Gardin nachtat, der seinem Braunen bereits den Sattelgurt löste.
»Kann man hier irgendwo etwas zu Essen bekommen? Und Futter für unsere Pferde?« fragte Philippe einen der umstehenden Bauern.
Eisiges Schweigen. Keine Antwort. Aber niemand nahm den Blick von ihnen. Die beiden Studenten hörten, wie die Menschen heimlich etwas tuschelten. Aber sie verstanden es nicht.
Die paar Brocken der spanischen Sprache, die sie kannten genügten nicht, um zu begreifen, was die Bewohner von Estradas in ihnen sahen.
Was Pierre Lacom und Philippe Gardin noch niemals richtig festgestellt hatten war, daß sie am ganzen Körper ziemlich stark behaart waren – und daß ihre Augenbrauen zusammengewachsen waren.
Nach dem alten Volksglauben sind das zwei sichere Anzeichen, daß man einem verkappten Werwolf gegenüber steht. Als die beiden jungen Männer jetzt ihre Jacken und Hemden auszogen und sich, nachdem die Pferde getrunken hatten, Staub und Schweiß ganz ungeniert vom Körper wuschen, wurde das Raunen lauter.
Hätten Pierre und Philippe auch nur den Bruchteil von dem verstanden, was dort geredet wurde, dann hätten sie sich auf ihre Pferde geschwungen und im gestreckten Galopp Estradas verlassen.
Doch sie waren typische Franzosen – und ein Franzose ist der absoluten Meinung, daß alle Welt Französisch reden muß. Wer es nicht kann, dem hat ein Franzose nichts zu sagen. Die beiden Studenten merkten nur, daß die Haltung der Leute immer feindlicher wurde.
»Sie werden die Frage erlauben, Señores!« sagte einer der Umstehenden, der langsam zu ihnen trat. »Sind Sie schon länger hier in der Gegend?«
»Ich antworte, wenn Sie mir sagen, mit welchem Recht Sie mich fragen?« gab Pierre Lacom zurück. »Das sieht ja hier aus wie in einem Wild-West-Film, wenn der Mob jemanden aufhängen will!«
»Ich verstehe zwar den Begriff ›Wild-West-Film‹ nicht!« sagt der Bauer. »Doch ich erkläre Ihnen, daß ich Miguel Lopez bin und Sie im Auftrage der Bürger von Estradas frage, weil ich der einzige hier im Ort bin, der Ihre Sprache einigermaßen beherrscht. Sie müssen wissen, daß es in der Nacht hier etwas gegeben hat, was die Leute erregt!«
»Wir waren in der letzten Nacht fünf Kilometer von Roncesvalles entfernt!« gab Philippe Gardin bereitwillig zu. »Wir haben in einer einsamen Scheune übernachtet und auch von dort Futter für unsere Pferde genommen. Wir werden das bezahlen, wenn wir es bezahlen müssen!«
»Sie haben in der Nacht nicht zufällig Wölfe gehört?« fragte Miguel Lopez gespannt. »In dieser Gegend haben sie…!« Er brach ab.
Man soll nicht alles sofort sagen.
»Wir hatten einen vorzüglichen Cognac, der das beste Schlafmittel für uns war, Monsieur!« gab Pierre Lacom lachend zurück. »Da hört man keine Wölfe mehr heulen. Auch wenn es Werwölfe wären…!«
Die letzte Bemerkung sollte scherzhaft sein. Er ahnte nicht, daß er damit Miguel Lopez nur mißtrauisch machte.
»Glauben Sie an Werwölfe?« fragte der Spanier lauernd.
»Natürlich!« nickte Pierre Lacom. Und plötzlich überkam es ihn.
Er wollte einen makabren Scherz machen und diesen Leuten einen Schreck einjagen.
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