0327 - Wer die Blutfrau lockt
Oberlippenbart und den blauen Augen, mit dem sie eben ins Gespräch gekommen war. Ein interessantes Gespräch über Vampirismus war im Schatten der Nelson-Säule am Trafalgar-Square in Gang gekommen. Auch über Werwölfe und Höllendämonen redeten sie. Dieser Mann, der sich als Schriftsteller für Grusel-Romane vorstellte, war ein Experte auf diesem Gebiet. Und weil der Tabak seiner Pfeife nicht mit Knoblauch gewürzt war, konnte sich Marenia problemlos mit ihm unterhalten.
Eine Unterhaltung, die abrupt abgebrochen wurde. Sie blockte ihr Inneres ab und hörte dem Mann, der ihr gewisse Theorien vortrug, überhaupt nicht mehr zu. Denn sie spürte etwas, das sie nicht beschreiben konnte.
Eine Bedrohung. - Genau genommen waren es zwei Bedrohungen. Eine war ganz nah - und die andere jenseits der Themse.
Dieses Prickeln in ihrem Körper, das sie plötzlich umgab wie ein elektrisches Kraftfeld. Schon einmal hatte sie es verspürt. Damals, als sie aus dem Todesschlaf erwacht war und dieser Professor Zamorra mit dem Amulett ihr unwirkliches Leben als Vampir beenden wollte, noch ehe es richtig begann.
Zamorra in London! Das bedeutete höchste Alarmstufe. Aus den Büchern wußte Marenia, daß der Meister des Übersinnlichen die Mächte der Dunkelheit kompromißlos bekämpfte. Sie wollte nicht sterben, obwohl sie bereits tot war.
Denn wenn sie der Pfahl ins Herz traf, dann wurde sie hinunter in den Abyssos geschleudert. Der Ort des ewigen Vergessens. Dort ist der Platz, von wo niemand je zurück kommt. Es ist die Hölle, die für die Dämonen geschaffen wurde, deren Welt die Schwefelklüfte Satans sind und die sich hier heimisch fühlen.
Obwohl sie ein Vampir war, fühlte sich Marenia nicht schuldig. Es war ihre Natur, auferlegt von einem grausamen Schicksal. Sie konnte ihre Tat und die Folgen nicht rückgängig machen - der Kampf gegen den Vampir Lord Rutherford und den Todeskuß von Stanley Carter. Ihr Naturell als Vampir zwang sie zu Taten, die sie selbst im Grunde ihres Inneren verabscheute. Sie wollte diese Männer nicht unter ihren Bann ziehen - und deswegen gab sie jedem, der ihr folgte, eine Warnung. Doch die Männer sahen nur die betörende Frau und achteten auf nichts anderes als auf ihren Körper und hatten nur im Sinn, sich zu nehmen, was diese Frau zu geben gewillt war.
In Marenia kämpften zwei Kräfte gegeneinander. Einerseits konnte sie sich dem Überlebensdrang des Vampirs nicht entziehen - andererseits wußte sie, daß sie Unrecht tat und versuchte, durch ihre Warnung das Schlimmste zu verhindern. Irgendwo hegte sie die Hoffnung, daß sie der Strahl des Erbarmens traf, bevor sie durch den Holzpfahl eines Vampirjägers endgültig in die ewige Verdammnis gestoßen wurde. Denn außer dem Abyssos und der Hölle auf der einen und der ewigen Seeligkeit gibt es noch das Zwischenreich der Läuterung, den man das Fegefeuer nennt.
Aber jetzt spürte Marenia den doppelten Angriff. Einmal den von Professor Zamorra, der jetzt zweifellos Jagd auf sie machte - und andererseits erkannte sie das Leben, das in ihre geheime Kammer eingedrungen war.
Sie spürte nur das Leben darin. Wer das war, erschien Marenia gleichgültig. Es durfte die Kammer nicht lebendig verlassen. Um keinen Preis.
Marenia handelte sofort. Die untoten Wesen darin vernahmen den Ruf ihrer Gebieterin, die ihr seit dem Todesstoß hörig waren.
»Erwachet! Erwachet und tötet!« klang Marenias Stimme in dem Vampirkörper, der einst Michael Prince gewesen war, auf.
Charly, Joey und Flippy kreischten auf, als sie sahen, daß der leblose Körper langsam die Augen aufschlug und sich aufrichtete.
Im gleichen Moment hörten sie einen dumpfen Schlag von oben.
Die Tür war durch die dunklen Kräfte Marenias ins Schloß gefallen. Der Ausweg war versperrt. Sie waren gefangen in der Gruft der Vampire. Entsetzt sahen die Jungen, wie sich das unheimliche Wesen, das Michael Prince gewesen war, langsam erhob und auf sie zutappte. Ratschend wurden andere Säcke von innen mit spitzen Fingernägeln aufgetrennt und torkelnd verließen Wesen, die von untotem Leben erfüllt waren, die weiße Hülle. Nur die Männer, die noch lebten, jedoch unter Marenias Bann in Regungslosigkeit verharrten, erwachten nicht.
Dennoch waren es ungefähr 15 Vampirwesen, die langsam, aber ständig, auf die drei entsetzten Jungen zutaumelten.
***
Melanie zerrte an der Tür, was sie konnte. Nichts! Sie ließ sich nicht aufmachen. So sehr sich das Mädchen anstrengte, sie bewegte sich
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