0328 - Wir legten einen Köder aus
Ihre Schwester ist bei uns…«
Trotz seiner Mahnung fiel sie ihm erneut ins Wort: »Bei Ihnen? Wo ist das? Wie kommt meine Schwester zu Ihnen? Wer sind Sie?«
»Halten Sie den Mund, verdammt noch mal!«, bellte die Stimme. Morich frohlockte. Dieser Wutausbruch hatte den Sprecher dazu verleitet, mit natürlicher Stimme zu sprechen. Nun stand fest, dass es ein Mann war, ein Mann in mittleren Jahren, dachte Bill Morich.
Während ihm dies blitzschnell durch den Kopf schoss, hatte die Stimme bereits in ihrem unnatürlichen Klang das Gespräch fortgesetzt: »Sie werden alles erfahren, sobald es nötig ist! Morgen früh, also heute früh, es ist ja schon nach zwölf, heute früh also werden Sie in der Schule anrufen, die Ihre Schwester besucht. Haben Sie das verstanden?«
»Warum soll ich da anrufen?«
»Um Ihre Schwester zu entschuldigen. Sie werden sagen, dass Ihre Schwester plötzlich krank geworden ist! Es würde vermutlich ein paar Tage dauern, bis sie wieder am Unterricht teilnehmen kann. Ist das klar?«
»Aber ich verstehe nicht…«
»Sie brauchen nichts zu verstehen. Sie brauchen nur zu tun, was wir Ihnen sagen. Denken Sie daran, dass Ihre Schwester bei uns ist. Ich nehme an, Sie würden sich ewig Vorwürfe machen, wenn durch Ihre Schuld der Kleinen etwas zustieße, nicht wahr?«
Ruths Atem ging hörbar. Für einen langen Atemzug schloss sie die Augen. Morich fürchtete schon, sie würde in Ohnmacht fallen, aber da hatte sie sich wieder gefasst. Mit einer spröde klingenden Stimme, aber sehr klar und entschlossen sagte sie: »Ich habe verstanden. Bitte, tun Sie ihr nichts. Ich beschwöre Sie! Ich werde alles tun, was Sie verlangen. Alles. Aber bitte lassen Sie Ethel aus dem Spiel. Ich tue alles, Sie können sich darauf verlassen!«
»Das werden wir sehen. Morgen Mittag wissen wir, ob Sie in der Schule angerufen haben.«
»Ich rufe an, ganz bestimmt. Gleich um halb neun, sobald das Schulbüro besetzt ist. Aber man wird sicher fragen, was Ethel plötzlich hat. Und es werden bestimmt ein paar Mädchen schon am Nachmittag vor der Wohnung stehen, um Ethel zu besuchen. Der Klassenlehrer wahrscheinlich auch! Was soll ich dann tun?«
»Sagen Sie, dass es eine ansteckende Krankheit ist! Dass der Arzt jeden Besuch strikt untersagt hat! Verstehen Sie?«
»Ja. Ich glaube, es würde sich gut machen, wenn ich sagte, dass Ethel die Masern hätte. Die sind ansteckend, aber nicht so gefährlich, als dass von der Schule aus Sorge etwas unternommen würde.«
Der Mann schien zu lachen. Es hörte sich wie ein gluckendes Schnaufen an.
»Gut, ja, Masern«, sagte die Stimme. »Damit sind wir einverstanden. Das ist alles für heute. Wir melden uns wieder.«
»Aber, so hören Sie doch!«, schrie Ruth mit verzweifelter Stimme. »Hallo! Sie…«
Bill nahm ihr den Hörer aus der Hand und ließ ihn geräuschlos auf den Apparat sinken.
»Er hat eingehängt, Ruth«, sagte er. »Verlier jetzt bitte nicht die Nerven. Gerade jetzt brauchst du einen klaren Kopf! Hast du einen Schnaps im Hause?«
»Was sagtest du?«
Ruth Rutherford war geisterhaft bleich. Ihre Knie waren leicht eingeknickt, und Morich musste jeden Augenblick damit rechnen, dass sie zusammenbrechen würde. Eine Ohnmacht hätte er nicht sehr gefürchtet, aber genauso gut konnte sie einen Nervenzusammenbruch erleiden. Mit sanfter Gewalt nötigte er sie zu ihrem Bett.
»Bin sofort wieder da«, brummte er, nahm den Briefumschlag und eilte hinaus.
***
Bill kam mit einem Wasserglas zurück, das zu einem Fünftel mit einer farblosen Flüssigkeit gefüllt war. Sie musste sehr kalt sein, denn das Glas beschlug.
»Gin«, murmelte er. »Da, Liebling, kipp das Zeug in einem Zug hinunter.«
Sie schüttelte angewidert den Kopf. Der kräftige Wacholdergeruch stieg ihr scharf in die Nase. Er stützte sie und wiederholte: »Kipp es in einem Zug hinunter. Du wirst sehen, dass es hilft. Dir ist der Schreck auf den Magen geschlagen. Von deinen Nerven gar nicht zu reden. Dabei musst du gerade jetzt auf der Hohe sein. Also sei brav und trink, los!«
Widerstrebend gehorchte sie. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie musste husten. Er klopfte mit der flachen Hand auf ihren Rücken.
»Na also«, sagte er. »Bleib eine Minute liegen.«
Sie hatte sich bereits auf das Bett zurückfallen lassen, fuhr aber in einer jähen Bewegung hoch.
»Ich,… oh, Bill! Ich…«
»Ruhig!«, mahnte er und drückte sie zurück in die Kissen. »Hör mir zu! Ich bin bei dir, und im Augenblick gibt
Weitere Kostenlose Bücher