0332 - Die Pest aus den Slums
er gekommen war.
»Fahre mich zu ›Nummer hundert‹. Das hier erledigen unsere Leute und die Cops. Ich will Harry Lescort sehen.«
Zweimal war ich in der Kaschemme gewesen, und immer hatte ich nur Lescort und die Männer seiner Gang dort getroffen.
Heute scholl uns der Lärm von Stimmen schon bis auf die Straße entgegen. Als wir eintraten, fanden wir mehr als ein Dutzend Männer, die genug Drinks zu sich genommen hatten, um lustig zu sein. Keiner von ihnen gehörte zum Lescort-Verein. Einige trugen die Uniform der Angestellten der Railway des Verschiebebahnhofes, andere die Overalls der Schauerleute vom Eastriver-Hafen.
Harry Lescort, Richard Warren und alle anderen, von Pal Luck bis zu Ed Purber, saßen an einem der großen runden Tische, und der Sailor stand hinter der Theke und hantierte mit Flaschen und Gläsern.
Die lachenden und lärmenden Männer verstummten, als wir eintraten. Ich war sicher, daß keiner von ihnen an den Lescort-Verbrechen beteiligt war, aber sie alle spürten die gespannte Atmosphäre, die schlagartig bei unserm Eintritt entstand.
Phil und ich gingen zum Tisch der Gang.
Es war genau wie bei meinem ersten Auftritt in »Nummer hundert«.
Sie legten die Karten hin, die sie in den Händen hielten. Lescort bemühte sich eisern, Haltung zu bewahren, aber er verriet seine Nervosität, als er ein Glas vom Tisch stieß.
»Daß G-men oder Polizisten heute hier aufkreuzen, damit hast du gerechnet, Lescort«, sagte ich, »und du hast vorgesorgt.« Ich wies mit dem Daumen über die Schulter auf die Männer an der Theke. »Aber ich wette, daß du nicht damit gerechnet hast, mich jemals wieder auf meinen eigenen Füßen stehen zu sehen.«
»Du sprichst in Rätseln, G-man«, antwortete er. Es fiel ihm schwer, seine Stimme in der Gewalt zu behalten. »Roger Scash hat vorbeigeschossen.« In seinem Gesicht zuckte es, als er den Namen hörte.
»Immer noch Rätsel!« stieß er hervor. »Aber ich schoß nicht vorbei!«
Er schwieg. Richard Warrens blaue Augen verengten sich zu Schlitzen.
»Er starb nicht an meiner Kugel, Lescort. Wir werden ihn finden. Die Ärzte werden ihn zusammenflicken, und dann wird er reden. Was wird aus dir und deinen Leuten, wenn er redet?«
Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Phil neben mir langsam die Hand hob bis in die Höhe des Jackenausschnittes. Auch ich hatte das Gefühl, als könnte der Tanz jeden Augenblick losbrechen.
Lescort lehnte sich auf seinem Stuhl weit zurück, knöpfte die Jacke auf und schob sie so weit auseinander, daß ich sehen konnte, daß er keine Pistole in der Achselhöhle trug.
»Alles, was ich aus deinem Gerede entnehmen kann, ist, daß du mich hochnehmen möchtest, mich und alle, die hier am Tisch sitzen«, sagte er gelassen. »Also los, G-man! ’raus mit den Handschellen.« Er streckte mir die Hände aneinandergelegt über den Tisch entgegen. »Keine Hemmungen, G-man! Warum solltest du nicht ein Dutzend Männer verhaften, die am frühen Morgen schon einen Drink nehmen. Ein schreckliches Verbrechen! Die Prohibition ist ja erst seit dreißig Jahren aufgehoben. Vielleicht hast du noch nichts davon gehört.«
Er lachte, aber nur Richard Warren stimmte in sein Gelächter mit ein. Die anderen blieben stumm.
Ich vertrage Scherze schlecht, wenn es sich um Mord handelt.
»Steh auf, Lescort!« schnauzte ich den Gang-Chef an.
Sein Gelächter brach ab. Langsam erhob er sich aus seinem Stuhl.
»Komm her!«
Er zögerte.
»Komm her!«
Er stieß seinen Stuhl um und kam langsam auf mich zu. In zwei Schritten Entfernung blieb er stehen.
»Näher!«
Er gehorchte, obwohl sein Gesicht vor Wut kreidebleich war. Er stand so nahe vor mir, daß ich sein Rasierwasser riechen konnte. Unsere Blicke bohrten sich ineinander.
»Luck, steh auf!« befahl ich.
Der fahlgesichtige Messerheld erhob sich langsam.
»Komm her!«
Gehorsam näherte er sich, bis er nahe wie sein Chef vor mir stand.
»Du erkanntest gestern in dem Mann an der Theke der Espresso-Bar Roger Scash. Du wußtest, daß Scash für Lescort den Mord an dem G-man ausgeführt hat, aber Scash wußte nicht, daß ich auch zum FBI gehöre. Du riefst sofort Lescort an. Ist das richtig?«
»Nein!« schrie Lescort.
»Shut up! Ich frage Luck!«
»N… nein«, stotterte der Gangster.
»Du kommst mit deinen Lügen nicht durch. Ich sah, daß er dich grüßte. Du kanntest ihn!«
Luck würgte die Antwort geradezu heraus.
»Mag sein, daß ich ihn mal gesehen habe, daß wir irgendwo einen Drink an derselben
Weitere Kostenlose Bücher