0337 - Der »Sanfte« kennt jeden Trick
Brutalität, mit der dieser Überfall in Szene gesetzt worden war, verschlug mir die Sprache.
Phil warf seine Zigarette, die er gerade angeraucht hatte, mit einer Gebärde des Ekels auf die Straße.
»Wir müssen den Kerl fassen, bevor er ein fünftes Verbrechen begeht. Jeder seiner Überfälle kostet Tote.«
»Sein sechstes Verbrechen! Du musst den Mord an Bariano mitzählen.«
»Okay, wenn du immer noch der Meinung bist, Charles Wood und Rane Cyle wären an den Verbrechen des Sanften beteiligt, lass sie uns festnehmen.«
»Ich sprach mit Cyle ungefähr zu der gleichen Zeit, als der Überfall verübt wurde. Er frühstückte.«
»Ich habe nicht damit gerechnet, dass Cyle selbst eine MP unter den Arm nimmt, aber er oder Wood bezahlt die Leute.«
»Ja, so dachte ich«, antwortete ich. Phil hörte den Zweifel.
»Und was denkst du jetzt?«
»Phil, ich bin nicht mehr sicher, ob meine Theorie stimmt.«
»Was hat sich geändert, dass du jetzt anderer Meinung bist?«
»Es hat sich nichts geändert«, knurrte ich. »Mir gefällt meine Theorie einfach nicht mehr. Wie viel Beute haben sie gemacht?«
»Kaum zehntausend Dollar.«
»Du hast gestern Woods Leute gesehen. Traust du einem von diesen den Überfall hier zu?«
»Nein, aber wir wissen nicht, ob Wood oder Cyle nicht ein paar besonders harte und skrupellose Jungs in Reserve halten.«
»Okay«, sagte ich. »Sehen wir uns Wood an.«
Als wir uns zum Jaguar durchschlugen, mit dem Phil gekommen war, stießen wir auf Radwey, der zum technischen Stab des FBI gehört.
»Der Chef schickte mich her, um die Cops bei der Spurensicherung zu unterstützen.«
»Rad, ich brauche Gewissheit darüber, ob hier aus den gleichen Maschinenpistolen geschossen wurde, wie in der Bariano-Kaschemme. Schick mir einen Bericht darüber in mein Büro.«
»Du hast ihn noch heute Abend.«
Der Jaguar war von zwei Polizei wagen blockiert. Es musste erst hin und her rangiert werden, bevor wir freikamen. Wir fuhren zum Hafen hinunter und stoppten den Jaguar vor Woods Gebäude auf dem 50. Pier.
Ich sagte schon, dass Wood in einem zweistöckigen Haus wohnte, das an einen Lagerschuppen anschloss. Obwohl der Hafengangster vorgab, einen gut gehenden Lager- und Speditionsbetrieb zu unterhalten, lagen die Gebäude wie ausgestorben. Wir wunderten uns nicht. Woods Firma war ohnedies nichts als Tarnung für seine üblen Geschäfte.
Ich war früher einmal in Woods Bau gewesen, und ich wusste, dass er eingerichtet war wie ein Kaninchenbau, mit vier oder fünf Ausgängen. Die Garage, der Lagerschuppen und das zweistöckige Gebäude, das Woods Privatwohnung enthielt, waren untereinander verbunden. Wir steuerten die Haustür an. Sie stand weit offen.
Phil und ich wechselten einen Blick.
Wir betraten den Flur.
»Jemand da?«, rief Phil.
Sein Ruf hallte von den Wänden wider, aber niemand antwortete.
Die unteren Räume waren als Büros eingerichtet, aber die Schreibmaschinen standen verstaubt auf den Tischen. Seit mindestens einem Jahr hatte sich keine Stenotypistin daran die Fingernägel abgebrochen.
»Gehen wir rauf«, schlug Phil vor.
Eine Treppe führte zum Obergeschoss. Auch hier fanden wir offene Türen, aber keinen Menschen. Wir gerieten in einen Raum, der offenbar Charles Wood als Schlafzimmer diente. Das Bett war verwühlt. Über einem Stuhl hingen Männerkleider.
»Das ist der Anzug, den er gestern Nacht trug«, sagte ich.
»Er kann einen anderen angezogen haben«, brummte Phil.
»Aber wo sind denn nur die Keile, die seine Leibwache bilden? Ein Boss wie Wood bringt nicht eine Nacht ohne seine Gorillas zu.«
»Vielleicht waren sie in der 19. Straße.«
Am Ende des Korridors befand sich eine Tür, fast die einzige in dem Bau, die geschlossen war. Als ich die Hand auf die Klinke legte, gab sie nach.
Eine Eisentreppe führte hinunter in den Lagerschuppen. Die verschmutzten Glasfenster im Dach gaben nur halbes Licht.
Phil packte meinen Arm.
»Da«, stieß er halblaut hervor.
Im nächsten Augenblick dröhnten die Stufen der Treppe unter unseren hastigen Schritten. Fast gleichzeitig erreichten wir den Boden des Schuppens und knieten neben der reglosen Gestalt. Der Mann lag auf dem Gesicht. Sein Körper war mit einem breit gestreiften Schlafanzug bekleidet. In der Düsternis des Schuppens wirkten die grellen Farben, als gehörten sie zu einem Maskenkostüm.
Aber das war kein Maskenfest, denn der Mann war tot.
Phil legte eine Hand auf den Arm des Toten.
»Er ist noch nicht kalt«,
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