034 - Der Hexer
weinen zu können, aber die Tränen blieben aus. Sie empfand nur eine Leere.
Johnny - ein Dieb! War es möglich? Träumte sie? Und Alan -was für eine grausame Fügung! Sie vergegenwärtigte sich jedes Wort, das er gesprochen hatte. Sie erkannte genau, daß Alan alles aufs Spiel gesetzt und dem Bruder einen Ausweg angeboten hatte, um ihn zu retten. Johnny hätte sich nur ruhig verhalten und in der Nacht versuchen müssen, die Perlen beiseite zu bringen, dann wäre er jetzt noch bei ihr. Aber sein Dünkel ließ es nicht zu. Mary empfand keine Bitterkeit gegen Alan Wembury, sie war nur traurig, und die Erinnerung an sein schmerzlich verzogenes Gesicht tat ihr ebenso weh wie der Gedanke an den Bruder.
Leise schlug die Türklingel an. Mary erhob sich mühsam und öffnete. Vor ihr stand eine Frau in einem langen, schwarzen Regenmantel. Der ebenfalls schwarze Hut unterstrich noch das blonde Haar und die blasse Gesichtsfarbe.
»Sie haben sich wohl geirrt?« fragte Mary.
»Sie sind doch Mary Lenley? Kann ich Sie sprechen?«
Mary trat zur Seite. Der Aussprache nach mußte es sich um eine Amerikanerin handeln. Die Fremde kam rasch herein. Im Wohnzimmer setzte sie sich, ohne auf eine Aufforderung zu warten, an den Tisch, dessen Schublade halb offenstand.
»Sie haben Sorgen?« fragte sie.
»Ja, sicher, ich bin in großer Sorge«, antwortete Mary und wunderte sich, woher die Frau es wußte, und was sie zu dieser späten Stunde herführte.
»Ich dachte es. Ich hörte, daß Inspektor Wembury Ihren Bruder verhaftete. Wegen des Juwelendiebstahls, nicht wahr?«
»Ja, die Perlen waren ... Ich hatte keine Ahnung davon.«
»Mein Name ist Milton - Cora Ann Milton«, sagte die Frau, aber dieser Name machte keinen Eindruck auf Mary Lenley. »Haben Sie nie von mir gehört?«
Mary schüttelte nur den Kopf. Sie war körperlich und geistig zu abgespannt, sie wünschte nur, daß der Besuch sie verlassen möchte.
»Haben Sie auch noch nie vom Hexer gehört?«
Mary sah schnell auf.
»Vom Hexer? Meinen Sie den Verbrecher, der von der Polizei gesucht wird?«
»Der von jedermann gesucht wird, Miss Lenley!« Trotz des unbekümmerten Tones zitterte Cora Anns Stimme ein wenig. »Und ich suche ihn mehr als irgendwer sonst - denn ich bin seine Frau!«
Mary sprang überrascht auf. Das war unglaublich - die Frau eines Mannes, dem ständig der Galgen drohte!
»Ich bin seine Frau«, wiederholte Cora Ann. »Sie denken wahrscheinlich, daß man damit nicht prahlen sollte! Sie haben aber unrecht.« Ohne Übergang fragte sie: »Sie arbeiten für Messer?«
»Ich arbeite für Mr. Messer - aber, Mrs. ...«
»Mrs. Milton!« sprang Cora bei.
»Ja. Aber, Mrs. Milton, ich kann Ihren Besuch zu so später Nachtzeit nicht verstehen.«
Cora Ann Milton sah sich ruhig im Zimmer um.
»Sie haben keine besonders schöne Wohnung, aber sie ist besser als das prächtige kleine Zimmer bei Messer!« Sie sah, wie das Gesicht des Mädchens rot wurde, und schloß für einen Moment die Augen. »Hat er es Ihnen also gezeigt? Teufel, der Mann arbeitet schnell!«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Mary fühlte, wie ihr anfängliches Befremden sich in Ärger verwandelte.
»Wenn Sie es nicht wissen, will ich auch nicht mehr darüber sprechen«, erwiderte Mrs. Milton kühl. »Weiß Messer, daß ich zurück bin?« Sie entnahm der Handtasche, die auf ihrem Schoß lag, ein Taschentuch. Jede ihrer Bewegungen war überlegt und selbstbewußt.
»Ich glaube kaum, Mrs. Milton, daß er sich für Ihren Aufenthaltsort sehr interessiert«, sagte Mary müde. »Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich Sie bitte, sich nicht länger aufzuhalten. Ich habe heute genug Aufregung gehabt und bin darum nicht in der Stimmung, mich über Mr. Messer, Ihren Mann oder sonst jemanden zu unterhalten.«
So leicht war Cora Ann Milton jedoch nicht abzuweisen.
»Ich nehme an, daß Sie manchmal bis spätabends in Messers Haus arbeiten werden«, begann sie von neuem. »Vielleicht wäre es Ihnen angenehm, meine Adresse zu haben?«
»Wozu nur?«
»Wozu!« wiederholte Cora. »Ich möchte, daß Sie sich mit mir in Verbindung setzen - wenn etwas geschehen sollte. Es gab ein anderes Mädchen ... Aber ich nehme an, daß Sie keine abschreckenden Beispiele hören wollen. Ich möchte Sie nur noch bitten, dem lieben Maurice nicht zu sagen, daß die Frau des Hexers in London ist.«
Mary achtete kaum mehr auf den Schluß der Rede, sie ging zur Tür und öffnete sie unmißverständlich.
»Das bedeutet,
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