034 - Die toten Augen
ich habe aufgepaßt, so gut ich konnte, trotzdem hat er es getan, ganz allein. Ich kann nichts dafür, das schwöre ich Ihnen. Und jetzt hat er mich geweckt, damit ich mich um sie kümmere. Sie ist ohnmächtig geworden, das arme Geschöpf. Ich werde ihr zunächst eine Spritze geben, damit sie nicht aufwacht. Ach, es ist schrecklich. Ich habe in der Eile meine Tasche vergessen. Ich hole sie. Dann komme ich gleich zurück. Wenn sie zu sich kommt … es wird furchtbar sein.“
Rasch lief der Verwalter davon.
„Matt, Matt!“ rief Fred.
Aber er war schon fort. Nach einigen Minuten hörte Fred wieder Schritte, die sich näherten.
„Sagen Sie mir, was er mit ihr gemacht hat“, flehte er den Verwalter an. „Sagen Sie es mir!“
„Mylord, bitten Sie mich nicht darum. Sie dürfen mich jetzt nicht nervös machen, ich habe eine schwierige Aufgabe vor mir. Sie darf nicht sterben. Aber vielleicht wäre das sogar andererseits besser für sie.“
Eine Stunde lang hörte Fred nichts als geheimnisvolle Geräusche von irgendwelchen Instrumenten und das unterdrückte Seufzen und Stöhnen des Arztes.
Und dann hörte Fred das Klappern von hohen Absätzen auf dem Steinboden des Ganges. Er erkannte die Frau des Verwalters, die sich mit einer Laterne näherte. Er rief: „Jane!“
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und ging weiter. Dann öffnete sie die Tür nebenan.
„Jane, du? Was willst du denn hier?“ fragte Matthew.
„Er schickt mich. Ich soll fragen, wie weit du bist. Es dauert lang.“
„Wirklich?“
„Er hatte befürchtet, daß du ohnmächtig seist oder so etwas Ähnliches.“
„So etwas Ähnliches? Meint er vielleicht, daß ich die Polizei hole? Was wollte er damit sagen?“
„Ich weiß nicht, Matt. Reg dich nicht auf, das lohnt sich nicht.“
„Sei still, ich kann kein Wort mehr hören. Du ekelst mich an. Komm doch her und sieh dir an, was er getan hat! Dann begreifst du vielleicht, daß man da schon in Ohnmacht fallen könnte oder rasend werden vor Wut.“
„Nein, ich will sie nicht sehen. Ich weiß schon, was er mit ihr gemacht hat. Was kann ich denn dafür? Bin ich vielleicht verantwortlich? Ich habe mich geweigert, mitzumachen, das weißt du doch.“
„Wenn du ihn nicht ermutigt hättest, dann wäre es vielleicht nicht passiert.“
„Ich habe ihm nicht zugeredet. Ich habe mich da herausgehalten. Ist das Leben der Gräfin in Gefahr?“
„Nein, ich glaube nicht. Er möchte wohl, daß sie weiterlebt, was? Damit sie leiden muß. Wenn die arme Frau zu sich kommt …“
„Ja, es wäre besser gewesen, sie hätte es nicht überlebt. Da hast du recht. Aber was geht mich das alles an?“
„Du bist ein herzloses Geschöpf.“
„Alle Frauen sind herzlose Geschöpfe, wußtest du das nicht?“
„Geh. Mich ekelt vor dir. Ich lasse mich scheiden.“
„Ich habe dir schon gesagt, daß das unmöglich ist. In unserer Lage gibt es nur einen Ausweg: den Tod. Ich meine, du mußt dir das Leben nehmen. Sie wird vielleicht doch noch sterben. Und der Junge – es ist möglich, daß sich sein Vater dazu entschließt, ihn verschwinden zu lassen. Dann ist der Weg frei für mich, und ich kann Gräfin werden.“
„Wie bitte?“
„Es wird alles nicht so einfach sein. Aber man kann nie wissen. Das Leben ist voller Überraschungen. Da staunst du, mein Lieber, was?“
„Du bist ein Ungeheuer.“
Aber Jane verschwand schon. Lachend lief sie mit ihrer Laterne den Gang entlang.
Fred hatte blaß und zitternd zugehört. „Matt!“ rief er schwach.
Aber der Verwalter antwortete nicht. Er blieb noch eine ganze Weile im Raum der Gräfin. Dann trat er auf den Gang hinaus. Fred hatte die ganze Zeit an seiner Tür gehorcht. Sofort überfiel er ihn wieder mit Fragen.
„Matt!“ Was ist mit ihr? Ich muß es wissen. Sie sind der einzige gute Mensch in diesem Schloß. Haben Sie Erbarmen, sagen Sie es mir!“
„Ich habe ja Erbarmen mit Ihnen, deshalb schweige ich.“
„Matt, warum gehen Sie nicht zur Polizei? Warum lassen Sie mich nicht frei? Machen Sie mir auf, damit ich dieses Scheusal bestrafen kann. Ich werde ihn umbringen, das schwöre ich.“
„Ihren Vater?“
„Er ist verrückt, eine Gefahr für seine Umgebung. Wenn ich ihn nicht töte, bringe ich ihn in die Irrenanstalt. Da gehört er hin.“
„Denken Sie doch an Ihren Namen, Mylord, an Ihren Ruf.“
„Der Ruf ist mir egal.“
„Ich werde sowieso ins Gefängnis kommen, Mylord.“
„Dann gehen Sie lieber ins Gefängnis. Ich werde für Sie aussagen.
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