034 - Die toten Augen
ließ er den völlig verzweifelten Matthew zurück. Hart schlug die Tür hinter ihm zu.
Als Jane vom Einkaufen zurückkam, saß ihr Mann mit bleichem Gesicht im Salon und rührte sich nicht.
„Was machst du denn da?“ fragte sie. „Warum hast du die Fenster nicht geputzt? Nanu, du hast ja geweint? Was ist denn los?“
„Du hast mich belogen, Jane. Der Graf hat mir gesagt …“
„Ach, er hat es dir gesagt. Das ist gut. Nun ja, er hat mir von seinen Plänen erzählt, nachdem er mir deine Widerspenstigkeit vorgeworfen hat.“
„Widerspenstigkeit? Ich möchte bloß wissen, ob du überhaupt ein Herz hast. Weißt du denn nicht, was er Schreckliches vor hat? Er hat gesagt, er werde sie beide töten.“
„Na und, dann tötet er sie eben. Wir werden vielleicht erben. Hältst du dich für einen Heiligen? Besitzt du denn ein so reines Gewissen? Früher hast du darüber anders gedacht. Man hat dir nicht umsonst Berufsverbot als Arzt gegeben.“
„Wie kannst du mir das vorwerfen? Habe ich nicht für dich diese verbotenen Dinge getan? Nur, damit du dir leisten konntest, was du wolltest? Ich habe außerdem nichts Kriminelles getan, ich wollte nur den Leuten helfen.“
„Aber da mußtest du ins Gefängnis.“
„Hör auf, Jane. Du wirst mich nie verstehen. Wir müssen uns trennen.“
„Niemals. Wir sind untrennbar zusammengekettet. Wer A sagt, muß auch B sagen. Also, werde endlich vernünftig und höre auf, dir den Kopf zu zerbrechen. Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen.“
„Jane, so hör mir doch zu!“
„Laß mich in Ruhe.“
Sie verließ das Zimmer, und Matthew blieb regungslos sitzen.
Er wußte, daß er nicht einfach gehen konnte und den Dingen ihren Lauf lassen mußte. Aber selbst wenn er im Schloß blieb, konnte er kaum verhindern, daß Schreckliches passierte. Am Ende würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als sich das Leben zu nehmen. Seine Frau müßte ebenfalls den Freitod wählen. Genauso würde es dem Grafen ergehen. Oder sie gerieten alle drei in die Mühle der Justiz. Das war nur ein anderes Ende.
Aber er mußte den Grafen wenigstens von seinem Plan abbringen. Vielleicht war die Strafe nicht ganz so schlimm, wenn es herauskam, daß man die beiden nur eine Zeitlang gefangengehalten hatte? Wenn man den Grafen doch noch erweichen könnte! Womöglich ließ er die beiden Gefangenen frei, wenn sie versprachen zu schweigen? Sie würden sicher froh sein, noch so davonzukommen. Und der junge Lord konnte doch seinen Vater unmöglich anklagen. Also würde alles gut ausgehen. Man mußte nur aufpassen, und ruhig und überlegt handeln.
Diese Gedanken beruhigten Matthew wieder etwas. Er wollte von nun an kein Auge mehr vom Grafen lassen, um ihn von seinem Vorhaben rechtzeitig abbringen zu können. Wenn es sein mußte, würde er ihn mit Gewalt daran hindern.
Am Tage war es leicht, aufzupassen. Er konnte überall hingehen, unter einem Vorwand jeden Raum betreten. Aber nachts war es schwierig. Von diesem Tag an schlief der arme Mann kaum noch. Ständig horchte er nach einem verdächtigen Geräusch. Er war jeden Augenblick dazu bereit, den Grafen zu überwältigen. Er war schließlich stärker. Er würde ihn abhalten, diese Verbrechen zu begehen. Der Graf konnte ihn töten, wenn er seinen Revolver in der Tasche hatte. Das war nicht zu ändern. Aber dann wäre er jedenfalls von jeder Schuld frei. Er würde in dem Bewußtsein sterben, seine Pflicht getan zu haben, und er brauchte sich nicht zu fürchten, wenn einmal Rechenschaft von ihm gefordert wurde.
Jane schlief seelenruhig neben ihm. Sie machte sich keine Gewissensbisse, sie dachte nicht an die Zukunft.
Matthew horchte und wachte Nacht für Nacht, aber nichts geschah.
Eines Nachts wurde er vom Schlaf überwältigt. Jane hörte seine gleichmäßigen Atemzüge. Leise stand sie auf, schlüpfte in ihren Bademantel und klopfte einige Minuten später an die Tür des Grafen.
Der Graf öffnete seine Tür einen Spalt breit.
„Er schläft, Mylord“, flüsterte sie.
„Gut. Danke.“
Leise huschte Jane zurück in ihr Bett.
Mitten in der Nacht erwachte Fred. Er hörte Tante Claire laut schreien:
„Was willst du von mir? Geh, du machst mir Angst!“
Er glaubte, der Verwalter sei bei ihr, und wunderte sich, was er um diese späte Stunde bei ihr wollte. Er sprang auf und rief durch das Guckloch an seiner Tür: „Tante Claire!“
Einen Augenblick herrschte Stille. Dann hörte er ein dumpfes Geräusch, und wieder erhob sich die flehende Stimme
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