034 - Die toten Augen
der Gräfin. Offenbar hatte sie sich vor ihm auf die Knie geworfen.
„Ed“, bat sie und weinte, „laß mich fort von hier, ich werde aus deinem Leben verschwinden, du wirst mich nie wieder sehen. Ich bereue, was ich getan habe, aber ich bin nur eine Frau. Deine Rache geht zu weit. Begreifst du denn nicht? Hab Erbarmen mit mir!“
Ed? Edward … also war der Graf bei ihr in der Zelle.
Fred begann zu rufen: „Vater! Vater!“
Wieder war es still, dann hörte er, wie die Tür nebenan geöffnet wurde. Fred warf sich auf den Boden und versuchte, durch die Öffnung der Tür zu schauen. Aber er sah nur einen schwachen Lichtschein, der aus der Zelle neben der seinen kam. Der Graf brachte irgend etwas in die Zelle und schloß dann die Tür hinter sich. Wieder begann Claire zu schreien, Fred konnte sie nur undeutlich verstehen.
„Was ist das? Was hast du vor mit mir? Nein, nein!“ Er hörte Geräusche, die nach einem Kampf klangen. Dann Schläge.
„Faß mich nicht an“, sagte Claire.
Fred hörte das Stöhnen des Grafen. Seine Phantasie spielte ihm die fürchterlichsten Szenen vor. Er ertrug es nicht länger, warf sich auf seinen Strohsack und hielt sich krampfhaft die Ohren zu. Aber immer wieder drangen Claires Schreie zu ihm herüber.
„Nein, nein! Hilfe!“
Und dann ertönte ein so fürchterlicher Schrei, daß es Fred durch Mark und Bein ging. Gleich darauf war es totenstill.
Nach einigen Minuten wurde die Tür nebenan wieder geöffnet. Fred hörte seinen Vater an seiner Zelle vorbeigehen. Der Ruf, den er ausstoßen wollte, blieb ihm im Hals stecken. Jetzt bekam er auf einmal selbst Angst. Würde sein Vater auch in seine Zelle kommen, um ihn zu quälen? Namenloses Grauen erfaßte Fred.
Aber die Schritte entfernten sich. Jetzt bekam Fred mit einemmal Mut. Wütend rief er:
„Vater, bin ich jetzt nicht an der Reihe? Schämst du dich nicht, einer Frau etwas anzutun? Komm zu mir. Bestrafe mich auch. Ich habe ebensoviel Schuld wie sie. Komm, komm!“
Halb von Sinnen hörte Fred, wie die Schritte verhallten. Er fühlte sich gedemütigt. Sein Vater hatte nicht einmal auf ihn gehört. Wie sehr mußte er ihn verachten!
Aber Fred wußte auch, daß er sich doch auf die Knie geworfen hätte, wenn sein Vater gekommen wäre. Er hätte ihn angefleht, ihn freizulassen oder zumindest versucht, vernünftig mit ihm zu reden. Oder er hätte sich gewehrt. Jedenfalls wäre ihm all das lieber gewesen, als diese tödliche Stille, die ihm fast den Verstand raubte.
Aber er konnte wieder kommen. Vielleicht war er nur hinaufgegangen, um sich mit einem Glas Alkohol Mut anzutrinken? Aber konnte er sich denn an seinem eigenen Sohn vergreifen? Würde er das wagen?
Er hat Angst vor mir, dachte Fred. Schließlich bin ich ein Mann. Ich hätte mir nichts gefallen lassen.
Aber sein Vater konnte noch ganz andere Mittel anwenden. Vielleicht mischte er ein Schlafmittel in sein Getränk, oder er gab ihm nichts mehr zu essen? Er konnte vieles tun, um seinen Widerstand zu brechen.
Sicher dachte er sich erst etwas aus. Er hatte es ja nicht eilig. Er konnte die richtige Stunde abwarten. Und er ließ Fred vor Angst umkommen.
Tränen liefen Fred über die Wangen, und er rief leise: „Vater, Vater!“
Er hatte seinen Vater doch noch gern. Aber sein Vater empfand nicht mehr das geringste für ihn. Fred fühlte sich todunglücklich.
Plötzlich fragte er sich, wieso es eigentlich so still war. Wieso schrie Claire nicht mehr? Hatte er sie getötet? War sie ohnmächtig geworden? Er rief ihren Namen.
Stille. Warum war eigentlich der Verwalter nicht gekommen? Sonst hatte er immer alle Aufträge seines Herrn ausgeführt. Dies war das erste Mal, daß der Graf selbst hier herunterkam. Wo steckte Matthew nur? Warum war er nicht mitgekommen? Was war geschehen?
Da hörte Fred hastige Schritte in der Ferne. Jemand kam die Treppe heruntergelaufen. Kehrte der Graf zurück? Jemand ging an Freds Zelle ‚vorbei, er trug eine Laterne in der Hand. Fred erkannte den Verwalter.
Er rief: „Matt, Matt!“
Doch Matthew ging vorbei, ohne auf ihn zu achten. Fred hörte die leisen Worte: „O Gott, wie furchtbar!“
Der Verwalter öffnete die Tür der Zelle nebenan. Nach einem Augenblick kam er wieder heraus.
„Matt, was ist passiert? Was hat er mit ihr gemacht? Bitte, sagen Sie es mir doch!“
Der Verwalter blieb vor seiner Tür stehen. „Es ist besser, wenn Sie es nicht erfahren, Mylord. Ich will Ihnen das ersparen. Ich habe ihn umzustimmen versucht, und
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