034 - Die toten Augen
Jane unter dem Vorwand, mein Bett machen zu wollen, aufzuräumen, oder Staub zu wischen. Matthew, der Verwalter, fand auch immer irgendeinen Vorwand, um hereinzukommen.
Dann entschuldigte man sich rasch, schloß die Tür, und wußte, daß ich da war, was ich tat. Sie hatten anscheinend alle Angst, daß ich irgend etwas anstellen könnte, als sei ich ein ungezogener Junge. Aber es mußte natürlich einen anderen Grund haben. Ich hatte den Eindruck, man wollte verhindern, daß ich herumschnüffelte. Also machte ich die Augen auf, ob ich irgend etwas Besonderes entdecken würde.
Was ich merkwürdig fand, war die Tatsache, daß der Graf so wenig Personal hatte. Jane und Matthew schienen ziemlich wichtige Persönlichkeiten zu sein, aber es fehlte jemand. Ein Diener, ein Zimmermädchen, wenigstens ein Gärtner hätten da sein sollen. Die beiden machten alles: sie putzten, kauften ein, kochten, servierten, bedienten. Ich sprach den Grafen einmal daraufhin an. Er sagte, daß er nur noch wenig Personal behalten hatte, weil er das Schloß sowieso bald verließe.
Das klang einleuchtend, aber ich war doch mißtrauisch. Wenn der Graf irgend etwas zu verbergen hatte, so verstand ich gut, daß er keine neugierigen Angestellten brauchen konnte.
Folglich schienen der Verwalter und seine Frau Mitwisser des Grafen zu sein. Aber was wußten sie? Als ich ankam, waren sie erstaunt. Also schien der Graf ihnen nicht alles zu sagen.
Vor allem die Frau, Jane, gefiel mir nicht. Sie war zu höflich mir gegenüber, aber sie warf mir öfters merkwürdige Seitenblicke zu, ohne es selbst zu merken. Es schien, als befürchte sie etwas von mir, als wolle sie die Lösung des Rätsels aus meinen Blicken ablesen.
Der Mann, Matthew, war mir sympathischer als seine Frau. Auch in seinem Gesicht stand eine Frage, aber seine Augen sahen mich nicht so kalt und durchdringend an, sie hatten einen gütigen Ausdruck.
Abends, wenn ich im Bett lag, fragte ich mich, was diese Leute eigentlich von mir wollten. Vor allem der Graf war für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Wenn ich den Tag überdachte, der hinter mir lag, so war nichts geschehen. Man hatte mir Blicke zugeworfen, ich hatte undeutliche Gesprächsfetzen gehört, aber nichts hatte sich ereignet. Was sollte ich in diesem toten Schloß, wo es nicht einmal ein Gespenst gab, das ein bißchen Aufregung verschaffte?
Ich trug Freds Schlafanzug. Fred, der arme Junge, der im Ausland starb.
Ihn sollte ich ersetzen. Aber in wessen Augen? Matt und Jane glaubten ja offenbar nicht, daß ich Fred war. Wo blieben die Besucher, die kommen sollten, und denen ich als Fred vorgestellt werden sollte?
Und dann meine Tante Claire. Ich hatte sie noch nicht gesehen und gewann den Eindruck, daß man sie vor mir verbergen wollte. Aber warum nur? Ja, man hatte sie mir einmal gezeigt, am ersten Tag. Gleich nachdem ich angekommen war. Aber was hatte ich zu sehen bekommen? Das Zimmer war dunkel gewesen, ihr Gesicht fast verdeckt.
In diesem Augenblick war ich sehr ergriffen, ich hatte mich über sie gebeugt und zärtlich geflüstert: „Tante Claire!“
Ich wagte nicht, ihr zu sagen, daß ich ihr Neffe Ferdinand war, denn bestimmt hielt sie mich für Fred. Das war wirklich merkwürdig.
Sie sagte dann in französischer Sprache: „Bist du es, Fred?“
Dann murmelte sie etwas Undeutliches, und ich verstand nur: „Meine Augen, meine Augen …“
Sie wollte sicher sagen, daß ihre Augen wehtaten. Aber was mich sehr merkwürdig berührte, war ihr Akzent. Tante Claire war Französin. Sie hätte diese Worte niemals so ausgesprochen. Außer, wenn sie es absichtlich hätte tun wollen, aber dafür bestand kein Anlaß. Und dann war es merkwürdig, daß sie mich mit ‚Fred’ anredete, denn sie wußte doch, daß ihr Sohn tot war. Selbst wenn ihr Mann ihr alles gesagt hatte, schien mir da etwas nicht zu stimmen.
Und warum hatte sie eine Binde über den Augen, wo doch im Zimmer ohnehin Dunkelheit herrschte?
In den folgenden Tagen, als Jane mit mir Französisch sprach, erkannte ich die Stimme wieder. Es war dieselbe Stimme, die gesagt hatte: „Meine Augen.“
Also hatte Jane, um mich zu täuschen, sich in das Bett gelegt. Der Graf wollte offenbar, daß sie die Rolle seiner Frau spielte.
Und dann versuchte ich eines Tages die Tür dieses Zimmers zu öffnen, nachdem ich geklopft hatte und niemand mir antwortete. Seltsam, nicht, beim Zimmer einer Kranken? Außerdem sah ich nie jemanden hineingehen, um sie zu pflegen.
Niemand sprach
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