034 - In den Krallen der Nebelhexe
nur ein einziges Fenster, das nachträglich in die
Wand geschlagen worden war, sich dort befand.
Das einsame
Haus am Strand war typisch im Baustil des neunzehnten Jahrhunderts errichtet.
Ein einladender großer Haupteingang, überdacht, eine Terrasse, die rings um das
Haus lief, viel Holz.
Mauerwerk und
Holz machten einen frischen Eindruck, ein Zeichen dafür, daß regelmäßig
Erneuerungsarbeiten durchgeführt wurden. Die Bausubstanz, die seit rund
hundertfünfzig Jahren wechselweise der Feuchtigkeit und der prallen Sonne
ausgesetzt war, ließ sich nur auf diese Weise erhalten.
Zum Meer hin
gab es einen eigenen Weg und eine Anlegestelle für Boote. Ein Pavillon, erhöht
errichtet, lud zum Verweilen ein.
Anwesen und
Haus strahlten etwas Erhabenes, Bleibendes aus und vermittelten eine Atmosphäre
von Größe und Geborgenheit.
Das Haus war
einstöckig, wies Dachgauben und Erker auf und hatte schmale, hohe Fenster. Es
schien ein Pol der Ruhe zu sein. Wenn man es sah, stellte sich jedoch noch ein
anderes Gefühl ein: Dieses Gebäude birgt ein Geheimnis, hier gibt es manches zu
entdecken.
Das große Tor
in der Mauer stand offen. Ein Zufahrtsweg führte zur Straße nach Petrolia.
Die dünnen
Nebelschleier wehten bei jedem Luftzug, der vom Pazifik herüberwehte, wie
Spinngewebe in der kupferfarbenen Morgensonne.
Unten im Haus
war Bewegung.
Die
Silhouette einer Frau war zu sehen, die durch die Räume lief.
Claire
Simpson, die Verwalterin, war vor einer halben Stunde aufgestanden. Sie hatte
die Nacht im Haus verbracht, um pünktlich zur Stelle zu sein, wenn die
Interessentin kam, die sich zwischen acht und neun Uhr angesagt hatte.
Claire
Simpson war fünfzig Jahre alt und trug das dunkle Haar kurzgeschnitten, aber
doch sehr feminin. Sie war zierlich und beweglich und wirkte durch figurbetonte
Kleider jünger, als sie war.
Sie bereitete
das Frühstück, trank davor einen Orange-Juice und knabberte dann das
frischgetoastete Weißbrot, das sie dick mit Butter und Honig bestrich.
Der Morgen
war noch kühl. Deshalb blieben alle Fenster ringsum geschlossen. In den
Schatten zwischen den Ecken und Büschen und hinter den verwitterten Grabsteinen
hockten noch die dichten Nebel. Sie wollten sich auch unter den ersten Sonnenstrahlen
nicht auflösen.
Claire
Simpson kannte diese Region seit über fünfzehn Jahren.
Schon damals
war sie als Verwalterin angestellt worden, zu dem Zeitpunkt noch von Miß Jeany.
Als diese plötzlich verstarb, war sie wie das Inventar dann von Cindy Calhoon
übernommen worden.
Schon immer
war es so gewesen, daß im Frühjahr und Herbst besonders an dieser Stelle
auffallend oft und lange Nebelperioden bestanden. Manchmal war das so schlimm,
daß Haus und Friedhof völlig umhüllt waren, während jenseits der Mauern
strahlender Sonnenschein herrschte.
»Mit dem
scheint’s aber ausgerechnet heute nicht besonders gut auszusehen«, sagte Claire
Simpson halblaut, als sie das Fenster öffnete und einen kritischen Blick nach
draußen warf.
Die Sonne
durchdrang die Nebelbänke nur schwach, und über dem Pazifik bildeten sich
Wolken. Von der anderen Seite des Hauses vernahm sie Motorengeräusch.
»Ah, sie
kommt. Hoffentlich nimmt sie das Haus auch noch, wenn sie es im Nebel sieht…«
Claire
Simpson lief auf die andere Seite des Hauses und erblickte durch die
geschlossenen Vorhänge den hellblauen, langgestreckten Wagen, der die Einfahrt
entlang kam.
Die
Verwalterin lief über die Treppe hinunter, um ihre Besucherin zu begrüßen.
Über einem
pinkfarbenen Kostüm trug Rose Margonny einen Luchsmantel, dessen weicher Pelz
sie umschmeichelte. Der voluminöse Kragen hätte zu einem Königsgewand gepaßt.
»Ich hoffe,
ich komme nicht zu früh.«
Rose Margonny, war bester Laune. Sie strahlte. »Aber ich konnte es kaum erwarten, hierher zu
fahren… ich bin seit drei Uhr heute nacht unterwegs.«
»Und Sie
haben keine Pause eingelegt?«
»Nur eine
kurze, vorhin in einem Motel, um mich ein bißchen frisch zu machen und in Ruhe
zu frühstücken.«
»Das hätten
Sie auch bei mir können, Missis Margonny.«
»Daran habe
ich natürlich nicht gedacht…« Rose Margonny breitete die Arme aus. »Wissen Sie,
Claire, das Ganze kommt mir vor wie ein Traum. Vor einer Woche ungefähr habe
ich noch zu Freunden von meinem Kinderparadies gesprochen und mir vorgenommen,
ihm einen Besuch abzustatten. Drei Tage später habe ich es auch getan. Ich
hatte ein wenig Mühe, das Anwesen wiederzufinden. Fünfundzwanzig Jahre
Weitere Kostenlose Bücher