0341 - Keiner kennt die Todesstunde
gelegentlich zu Gesicht bekommen, wenn auch selten, aber wenn Sie ihn danach fragen, kann es gut sein, daß er sich trotzdem nicht an sie erinnern kann. In seinem Gedächtnis bleibt nur das haften, was sich unmittelbar auf seine Arbeit bezieht. Er vergißt alles andere, so daß man oft wie ein Kindermädchen auf ihn aufpassen muß.«
»Ich verstehe. Kennen Sie außer diesem Seemann noch irgendeine Person, die in Dorrit Marvin verliebt war oder noch ist?«
»Oh, da können Sie mit meiner ganzen Firma rechnen«, sagte Bonder schmunzelnd. »Dorrit eroberte Männerherzen im Sturm. Sie sieht sehr hübsch aus und hat ein äußerst einnehmendes Wesen — hatte, muß man wohl sagen. Himmel! Ich werde mich so schnell nicht daran gewöhnen können, daß Dorrit tot sein soll. Es ist unfaßbar.«
»Gibt es jemand, der vielleicht besonders leidenschaftlich in sie verliebt war?«
»Keine Ahnung, Sergeant. Dorrit hat mir nichts dergleichen erzählt, und ich habe auch nichts in dieser Hinsicht beobachtet.«
»Wir werden wahrscheinlich in Ihrer Firma Nachforschungen anstellen müssen, Mr. Bonder.«
»Von mir werden Sie jede Unterstützung erhalten, Sergeant. Wer auch immer Dorrit ermordet haben mag und aus welchem Grunde immer — der Mann muß gefunden werden. Um jeden Preis!«
»Woher wissen Sie, daß es ein Mann war?«
Bonder zuckte verständnislos die Achseln.
»Das weiß ich nicht. Ich nehme es an. War es denn eine Frau?«
Schulz überhörte die Frage.
»Dorrit Marvin wurde am Freitagabend getötet«, erklärte er. »Spätestens um Mitternacht, vielleicht aber schon um sieben oder acht. Wir müssen herausfinden, wo, wie und mit wem sie die letzten Stunden ihres Lebens verbrachte. Können Sie uns dabei behilflich sein?«
»Ich will es versuchen.«
»Danke. Bis wann hat Miß Marvin am letzten Freitag gearbeitet?«
»Auf dem Papier des Tarifvertrages steht der Feierabend für 4 Uhr nachmittags. Allerdings nur am Freitag, sonst arbeiten wir bis fünf. Aber Dorrit gehörte nicht zu den Mädchen, die mitten in einem Brief aufhören, weil Feierabend ist. Sie arbeitete immer so lange, bis das Pensum, das erledigt werden mußte, auch wirklich erledigt war.«
»Das bedeutet, daß sie auch an diesem Freitag länger gearbeitet hat?«
»Pünktlich um vier hat sie garantiert nicht aufgehört. Warten Sie mal, was war denn am Freitag überhaupt los? Gegen zwei empfing ich die beiden Direktoren eines westdeutschen Großbetriebes der metallverarbeitenden Industrie — richtig, da war Dorrit dabei und dolmetschte. Die Herren verließen mich gegen halb vier. Anschließend diktierte ich eine lange Aktennotiz über das Ergebnis unserer Verhandlung. Und dann…«
Bonder brach ab und packte Schulz aufgeregt am Oberarm.
»Sergeant, jetzt weiß ich es!« rief er. »Daß es mir nicht gleich eingefallen ist! Als wir mit der Aktennotiz fertig waren, wollte ich noch einen Lieferbericht für einen Geschäftsfreund im Mittleren Westen im Konzept ausarbeiten, da machte mich Dorrit darauf aufmerksam, daß es schon halb fünf sei. Ich fragte, ob es ihr denn etwas ausmachte, wenn sie noch ein bißchen länger bliebe. Verstehen Sie mich recht, wir gehören nicht zu den Betrieben, wo die Leute ewig über ihre Zeit in Anspruch genommen werden, ohne daß es entsprechend großzügig vergütet würde. Dorrit Marvin bekam ein gutes Gehalt und außerdem jeden Monat fast zweihundert Dollar zuzüglich für Überstunden und besondere Leistungen- Ich…«
»Ich bin -überzeugt, daß Sie ein großzügiger Chef sind, Mr. Bonder«, fiel Schulz ihm ins. Wort. »Nach allem, was die Zeitungen gelegentlich von Ihrer Firma schreiben, herrscht dort das vorzüglichste Betriebsklima, das sich denken läßt. Aber wir wollen bei der Sache bleiben! Also Sie fragten Dorrit Marvin, ob sie auch nach halb fünf noch im Büro bleiben könnte?«
»Richtig! Dorrit lachte und sagte, sie möchte es nicht mit meiner Frau verderben. Sie hätte ihr am Telefon versprochen, daß sie mich pünktlich nach Hause schicken würde. Meine Schwiegereltern waren nämlich für Freitag abend angesagt, und ich hatte meiner Frau versprochen, sie um 5 Uhr 12 von der Pennsylvania Station abzuholen. Wenn mich Dorrit nicht daran erinnert hätte, würde ich es wahrscheinlich vergessen haben.«
»Ach so«, murmelte Schulz enttäuscht. »Also verließ Dorrit Marvin so gegen halb fünf das Büro, nicht wahr?«
»Warten Sie doch, Sergeant, es kommt ja noch! Als Dorrit mich an meine privaten
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