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0341 - Keiner kennt die Todesstunde

0341 - Keiner kennt die Todesstunde

Titel: 0341 - Keiner kennt die Todesstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keiner kennt die Todesstunde
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schoben. Immer wieder schob ich meinen Kopf dicht an Phils gefesselten Händen vorbei von unten nach oben.
    Immer wieder glitt ich ab. Und immer und immer wieder versuchte ich es. Es war die einzige Möglichkeit, die ich überhaupt sah. Zweimal mußte ich abbrechen und eine Pause einlegen, um zu verschnaufen. Natürlich zählte ich meine Versuche nicht, aber weniger als sechzigmal war es gewiß nicht, bis ich endlich zwei von Phils kalten Fingern auf meiner Wange spürte — unter dem Tuch, mit dem sie mich geknebelt hatten.
    Ich schloß die Augen und atmete zehnmal tief durch die Nase. Sie hatten jedem von uns ein zusammengeknülltes Tuch in den Mund geschoben und ein zweites Tuch so darüber gebunden, daß wir das erste nicht ausspucken konnten. Mit den Händen konnten wir uns unmöglich befreien, dazu hatten sie die Finger zu gut aneinandergeschnürt. Aber obgleich Phil seine Finger ebensowenig bewegen konnte wie ich meine, bekam ich es fertig, das Tuch so an den beiden kalten Fingern festzuhaken, daß es mir aufs Kinn herabrutschte, als ich den Kopf vorsichtig in die Gegenrichtung schob. Ich spuckte das Tuch aus meinem Mund aus und rang erlöst nach Luft. Aber ich gönnte mir höchstens eine halbe Minute, dann flüsterte ich:
    »Okay, Phil, den Knebel bin ich los. Bleib ruhig liegen, ich versuche jetzt, den Knoten an deinem Gesicht mit den Zähnen aufzumachen. Es wird schon klappen.«
    In, einer solchen Situation werden Minuten zu Viertelstunden. Es kam mir wie eine halbe - Ewigkeit vor, als ich endlich merkte, daß der Knoten siph lockerte. Durch Zufall schien ich endlich das richtige Ende erwischt zu haben. Jetzt ging es verhältnismäßig schnell. Als sich der Knoten löste, tanzten rote Sterne vor meinen Augen von der Anstrengung, den Oberkörper ständig hochzuhalten, ohne ihn mit den Armen stützen zu können. Erschöpft ließ ich mich zurücksinken, schloß die Augen und rang nach Luft.
    »Du bist ziemlich erledigt, was?« ertönte Phils Stimme nach einer kurzen Weile.
    »Ziemlich«, gab ich zu. »Aber es wird schon wieder. Noch ein paar Minuten verschnaufen, Phil.«
    »Dreh dich herum«, forderte er. »Warum?«
    »Jetzt bin ich dran, ich habe die ganze Zeit ruhig gelegen.«
    »Da kann ich nicht widersprechen«, stieß ich hervor.
    Ich wälzte mich einmal um meine Achse, bis ich Phil den Rücken zuwandte.
    »Was willst du tun?«
    »Die Schnur durchbeißen. Eine Windung nach der anderen, bis es reicht.«
    »Hoffentlich klappt es schnell genug.«
    »Es muß klappen. Also los!«
    Ich hatte längst kein Gefühl mehr in den Fingern, so daß ich seine tastenden Zähne nicht spürte. Aber in der tiefen Stille hörte ich manchmal ein ganz leises, schwaches Knirschen, wenn Phil wieder mit aller Kraft zubiß. Vermutlich kaute er immer und immer wieder an derselben Stelle, da es mit einem einzigen Biß nicht zu schaffen war.
    Die Zeit verging in der schwarzen Finsternis. Ich lag auf der rechten Seite, fing allmählich an zu frieren und durfte mich doch nicht bewegen. Nach einer endlosen Weile keuchte Phil atemlos: »Muß Pause machen… verdammt schwierig…«
    Am Tonfall erkannte ich, daß er nicht mehr so viel Hoffnung hatte wie am Anfang.
    »Dreh dich um«, raunte ich. »Während du pausierst, versuche ich es bei dir.«
    Ich bekam einen Begriff davon, wie schwierig es war. Die Schnur gehörte nicht zur billigen Sorte.
    Insgesamt wechselten wir uns achtmal ab. Und dann war es Phil, der die ersten Erfolge hatte. Zwei Windungen der Schnur rissen endlich unter seinen Zähnen. Meine Finger waren so abgestorben, daß ich nicht einmal prüfen konnte, wieweit sie jetzt zu bewegen waren. Ich machte mich selbst wieder an die Arbeit, während Phil verschnaufte. Noch während ich mich abquälte, sagte Phil fast unhörbar, wie wir die ganze Zeit gesprochen hatten:
    »Du mußt die Schnur zwischen den Backenzähnen hin und her rollen, dadurch fasert sie ein bißchen auf, und du kannst die Fasern einzeln durchbeißen.«
    »Okay, mein Alter«, keuchte ich. »Ich werd es versuchen.«
    Seine Entdeckung war Gold wert. Auf einmal gelang es auch mir, zweimal die Schnur zu durchbeißen. Danach drehten wir uns wieder, und Phil setzte seihe Tätigkeit fort- Ich wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als Phil die neunte Windung der Schnur bei mir geschafft hatte. In meinen Fingern begann es wie von abertausend Ameisen zu kribbeln, ein Zeichen, daß der Blutkreislauf wieder einigermaßen einsetzte. Trotzdem brauchte es eine ganze Weile,

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