0344 - Die Hexe von Nottingham
höllisch schmerzte. Dabei war keine Verletzung zu erkennen, und es schien auch nichts gebrochen zu sein.
Irgend eine Kraft hatte die Rothaarige davor geschützt, erschlagen zu werden.
Jetzt zuckte der Körper in dem bodenlangen weißen Gewand, das brüchig und fadenscheinig geworden war; die Spiegelfalle hatte wohl doch zumindest auf den Stoff Wirkung gezeigt.
Die Hexe schrie einen Bannfluch. Wieder flammte etwas Eigenartiges auf. Blaues Licht raste ihr entgegen. Es schmerzte. Tausend winzige Nadeln schienen sich überall in Bess Saunders’ Haut zu bohren.
Sie sah, wie die Rothaarige sich erhob. Die weißen Augen loderten.
Die Hexe keuchte. Sie taumelte rückwärts auf den kleinen Korridor, fand die Tür zum Schlafzimmer. Hindurch! Zuschlägen! Schlüssel herumdrehen! Bis zur Wand wich sie zurück. Sie begriff nicht, was das für eine gewaltige Kraft war, über die die Rothaarige verfügte. Aber sie fürchtete jetzt, daß die Rote auch vor der abgeschlossenen Tür nicht mehr Halt machen würde. Die Hexe verspürte Angst. Angst vor der Macht, die die Rote zeigte.
Bess starrte das Bett an. Vor wenigen Stunden hatte sie noch hier mit Dan Tracey gelegen. Dan, der jetzt tot war… geköpft von einer unheimlichen Magie…
Bess hätte schreien können. Aber ihre Angst schnürte ihr förmlich die Kehle zu. Sie lauschte. Was tat die Rothaarige jetzt?
Der Schlüssel drehte sich, ohne daß eine Hand ihn berührte. Die Klinke wurde niedergedrückt. Die Tür schwang auf. Dahinter stand die Rothaarige. Ihr weißes Gewand zerfiel ihr förmlich am Körper. Der Alterungsprozeß schritt immer noch fort. In der Hand hielt die Rothaarige einen kleinen blaufunkelnden Stein. Den, der entstanden war, als Dans Schädel sich auflöste, dahinschwand.
»All right«, keuchte Bess. »Du hast gewonnen… laß mich in Ruhe, hörst du? Ich… ich habe mit der Falle nichts zu tun. Das hat Dan allein arrangiert. Ich wußte nichts davon, verdammt…«
»Ich weiß«, kam es wie ein Hauch über die Lippen der Roten. »Aber auch du wolltest mich töten. Doch das kannst du nicht. Niemand kann es. Siehst du, wie der Zauber deines verblichenen Bettgefährten wirkt? Das Gewand altert, in wenigen Minuten wird es restlos zu Staub zerfallen sein. Ich aber altere nicht. Ich sterbe nicht!«
»Wie ist das möglich? Bist du selbst eine Dämonin?«
Die Rothaarige beantwortete die Frage nicht. Sie sah sich im Zimmer um. »Ich brauche gleich etwas zum Anziehen. Wir haben dieselbe Größe. Du wirst mir einige deiner Sachen schenken. Und dann wirst du, verdammt, endlich tun, was ich von dir verlange. Du wirst diesen Ted Ewigk totsprechen. Oder du fährst in den Höllenschlund hinab. Es gibt genügend Höllengeister, die schon darauf warten, deine verlorene, verdammte Seele in die Klauen zu bekommen.«
»Du bist eine Bestie, Reddie«, keuchte Bess.
»Du solltest allmählich anfangen«, verlangte die Rothaarige. »Wir wissen doch alle, daß Menschenleben dir nicht viel bedeuten.«
»Warte«, sagte Bess. Abwehrend hob sie eine Hand. »Laß mir etwas Zeit, ja? Ich bin völlig durcheinander. Ich begreife nichts mehr… ein paar Minuten nur.«
»Gut. Aber nicht zu lange«, sagte die Rothaarige. Die letzten Staubfahnen sanken von ihrem Körper. Bess Saunders starrte sie an. Bis auf die brandroten Haare und die weißen Augen hätte sie eine ganz normale Frau sein können. Aber so wirkte sie… unmenschlich. Wie ein Geschöpf von einem anderen Stern.
Die Rothaarige beachtete Bess nicht weiter. Sie öffnete den Kleiderschrank, auch wieder mit ihrer Magie, und begann zu sortieren. Bess taumelte an ihr vorbei. Sie wollte für einige Augenblicke allein sein. Sie hatte nicht gelogen - sie war am Ende ihrer Kraft, erledigt. Sicher, Dan Tracey war austauschbar wie alle Männer, mit denen Bess bislang zusammen war. Geliebt hatte sie ihn nicht, nur geschätzt. Und nach einer gewissen Zeit der Trennung hätte er ihr wohl nichts mehr bedeutet, wäre ein Mensch unter Milliarden geworden. Aber dieser Tod war zu schnell gekommen, zu überraschend. Es hatte der Hexe einen Schock versetzt. Sie starrte den Leichnam des Mannes an und fragte sich, ob er wohl seinen Tod vörausgeahnt haben mochte. Hatte er damit gerechnet, daß er sterben würde? Was hatte er in den letzten Augenblicken seines Lebens gedacht? Und warum hatte er überhaupt das Risiko auf sich genommen, warum hatte er die Falle eingerichtet? Es hatte einfach nicht funktionieren können! Dan mußte närrisch gewesen
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