035 - Das Wachsfigurenkabinett
stehen, knipste sie an und nickte.
»Fällt dir nichts auf, Coco?«
Das Mädchen stellte sich neben ihn und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie.
»Der Junge hat überall dort Farbkleckse hingemalt, wo Gegenstände Schatten werfen.«
»Du hast recht«, sagte Coco.
Dorian packte die Stehlampe und rückte sie etwas zur Seite.
Sofort kam Leben in den Hermaphroditen. Er stöhnte auf, kroch über den Boden, packte den Pinsel, tauchte ihn in die Lackdose und zog eine Linie, die genau mit dem Schatten abschloß, den das Bett warf. Dorian veränderte nochmals die Stellung der Lampe. Diesmal zog Phillip einen langen Strich. »Es hat etwas mit Schatten zu tun«, sagte Dorian nachdenklich. »Und das ist sehr seltsam. Chapman hörte die Unterhaltung der Vampire. Sie sprachen von einem Schatten. Will uns vielleicht Phillip dazu etwas sagen? Aber was?«
Dorian starrte den Jungen an, der wieder ruhig auf dem Boden saß und die Lippen bewegte. »Phillip«, sagte Coco, »sag mir, was du uns mitteilen willst!«
Doch der Junge reagierte nicht.
»So kommen wir nicht weiter«, meinte Dorian. »Ich rufe den O. I. an.«
Dorian verwendete immer die Abkürzung O. I., wenn er vom Observator Inquisitor sprach, dem Leiter der Geheimdienstabteilung.
Er hob den Hörer ab, setzte sich aufs Bett und wählte eine Nummer. In kurzen Worten gab er seinen Bericht durch. Der O. I. hörte schweigend zu.
Als Dorian geendet hatte, sagte er nach einigen Sekunden: »Ich habe etwas für Sie, Hunter. Fahren Sie ins Grosvenor Hospital. Einer meiner Männer wird Sie erwarten. Es ist Tony Burnett, den Sie bereits kennen. Er wird Ihnen etwas Interessantes zeigen.«
»Und das ist?« fragte Dorian neugierig.
»Ein totes Mädchen«, sagte der O. I. »Ich möchte, daß Sie sich damit beschäftigen.« »Woran starb das Mädchen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel. Fahren Sie hin und sehen Sie selbst! Burnett wird Sie begleiten und Ihnen eventuelle Schwierigkeiten aus dem Weg räumen.«
Der O. I. hatte aufgelegt, und Dorian starrte auf den Hörer.
Coco hatte zugehört.
»Hast du eine Ahnung, Coco, was eine Catania-Beschwörung ist?« fragte er sie.
Coco nickte. »Ja, das kann ich dir sagen. Diese Beschwörung dient dazu, ein Schattenwesen zu vernichten. Man benötigt Eselsblut, noch besser ist das Blut eines jungen Mädchens, einer Jungfrau. Zu dieser Beschwörung müssen aber bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden, soll sie Erfolg haben. Man braucht dreizehn Personen, einen völlig dunklen Raum sowie den Schädel eines Mannes, der mindestens hundert Jahre tot ist.«
»Und was ist so ein Schattenwesen?« fragte Dorian weiter. Coco hob die Schultern.
»Das ist schwer zu sagen«, meinte sie. »Es gibt unzählige Arten von Schattenwesen. Es kann der Geist eines Ermordeten sein, aber auch ein lebender Mensch, der sich in einen Schatten verwandeln oder andere Menschen zu schattenlosen Wesen machen kann. Ich müßte wissen, welche Art von Schattenwesen vernichtet werden soll.«
»Das weiß ich leider auch nicht«, sagte Dorian nachdenklich. »Phillip überdeckt die Schatten mit schwarzer Farbe. Was er wohl damit ausdrücken will?«
Coco gab keine Antwort.
»Bring Phillip ins Bett!« sagte Dorian. »Ich fahre jetzt ins Grosvenor Hospital.«
Es war kurz nach elf Uhr, als Dorian losfuhr. Es war eine kühle Januarnacht. Ein eisiger Wind wehte durch die Straßen Londons, und immer wieder regnete es. Er kam rasch vorwärts; es war wenig Verkehr. Einerseits war ihr Schlupfwinkel in der Baring Road recht günstig gewählt; der Nachteil war nur, daß sich die Villa am Stadtrand von London befand und es einige Zeit dauerte, bis man das Zentrum erreicht hatte.
Er überquerte die Westminster Bridge, fuhr an den Houses of Parlament vorbei und bog dann in die Millbank Street ein, die direkt parallel zur Themse lief. Nach einigen Minuten erreichte er die Grosvenor Road und blieb kurz vor dem Delphin Square stehen. Er stieg aus und das Dutzend Stufen hoch, die zum Besuchseingang des Spitals führten.
Neben der Portierloge erwartete ihn bereits Tony Burnett. Er faltete die Edeling News zusammen und kam Dorian entgegen.
Burnett war alles andere als das, was man sich gemeinhin unter einem Geheimagenten vorstellte. Er war klein und kugelrund und lächelte ununterbrochen; seine Stimme war zart und wohlklingend und er trug einen hoffnungslos veralteten Mantel und einen zerbeulten Hut.
»Hallo, Mr. Hunter!« sagte
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