035 - Wettlauf gegen die Zeit
nahm nur ein kleiner Rest seines von Panik überfluteten Hirns wahr: Etwas pfiff durch die Luft, etwas zitterte plötzlich im Augapfel der Ekelbestie, das Auge zerplatzte, der Griff um seinen Arm lockerte sich und das Biest kippte ins Wasser.
Ein Pfeil, schoss es Dave durch den Kopf. Jemand steht dir bei… Verzweifelte Hoffnung erfüllte ihn. Er riss an der Zunge um seinen Hals. Dann der lange Schatten eines Speers, Fleisch zerriss, die Zunge löste sich von ihm, schnellte zurück ins Maul der zweiten Riesenkröte - mit einem Speerschaft in der Flanke rutschte sie über die Tragfläche in den Rhein.
Dave sog die kalte Luft ein. Er röchelte. Das Schilf, die drei oder vier Kröten im Fluss, heranschwirrende Pfeile, die menschlichen Gestalten im Schilf - alles verschwamm in einem roten Nebel. Etwas klatschte gegen Daves Brust und fiel vor ihm ins Cockpit - ein grobes Seil. »Festhalten!«, brüllte eine Bassstimme. Reflexartig schlossen seine Hände sich um das Seil.
Mit jedem Atemzug wurde seine Wahrnehmung ein Stück klarer. Er riss die Augen auf. Zwischen dem Flugzeug und dem mittlerweile gut zehn Meter entfernten Schilf schaukelten vier Krötenkadaver rücklings in den Wogen. Aus den hellen Bäuchen einiger ragten Pfeile, aus einem anderen ein Speer. Vor dem Schilf, bis zu den Knien im Wasser, standen Männer, Bogenschützen, sieben oder acht. Sie trugen dunkelgraue Mäntel über gelblichen Kleidern.
Ein Ruck ging durch den Flugzeugrumpf. Auf der dem Ufer abgewandten Tragfläche lagen vier schwarzgrüne Klauen mit Schwimmhäuten zwischen den langen Fingern. Krötenköpfe und -augen tauchten aus dem Fluten auf.
»Festhalten!« Wieder der Bass, hart und heiser. Und schlagartig straffte sich das Seil - Dave wurde vom Flugzeugrumpf in den Rhein gerissen. An den Krötenkadavern vorbei und durch Blutschlieren hindurch zogen sie ihn ins Schilf.
Dave verlor die Kontrolle über seine Kiefer; seine Zähne schlugen gegeneinander. Kälte und Panik füllten jede Faser seines Körpers aus, jede Hirnwindung. »Jesus Christus«, krächzte er. »Jesus Christus…«
Als kräftige Hände ihn packten und hochhoben, erhaschte er einen letzten Blick auf sein Flugzeug. Schon fast auf der Flussmitte angelangt, bewegte es sich nach Norden in die Biegung hinein.
»Haste Glück gehabt«, knurrte der Bass.
»Haste verfluchtes Scheißglück gehabt…«
Dave blickte in ein schwarz verschmiertes, breites Gesicht. Kleine Augen schielten an ihm vorbei. Gesicht und Schielaugen schienen zu grinsen - ganz genau war das Mienenspiel nicht zu deuten. »Jesus Christus…« , krächzte Dave, »ich danke dir…«
***
Fünfzehn Augenpaare richteten sich auf den dürren kahlköpfigen Mann mit den Wulstlippen und dem zerknautschten Gesicht. Er trug einen ähnlichen Anzug aus braunen Lederschuppen wie Tones, der in der Mitte des kleinen Raumes stand.
Und darüber einen braunen Wollmantel.
Kurz und bündig war die Schilderung des jungen Tones gewesen. Schweigend hatte Honnes ihm zugehört. Hinter seiner zerfurchten Stirn arbeitete es.
»Was sagst du dazu, Honnes?«, sprach Juppis ihn an.
Dicht gedrängt standen sie in der Küche des Kanzlers. Nur der greise Jannes Attenau selbst hockte in einem Lehnstuhl. Im Kamin knisterte ein Feuer. Juppis, der Kanzler und die zwölf Männer des Bürgerrates warteten geduldig.
Sie kannten den alten Streiter Honnes gut. Wie die meisten Männer, die in diesen Tagen Verantwortung in Coellen trugen, hatte sich auch Honnes einen Namen im Kampf gegen die
»Bruderschaft der Scheußlichen Drei« gemacht. [2]
Honnes pflegte nicht zu reden, wenn er nichts zu sagen hatte.
Und deswegen dachte er gründlich nach, bevor er den Mund aufmachte.
Seit er vor nicht ganz einem halben Mond nach Coellen zurückgekehrt war, erlebten ihn die einstigen Streitgenossen noch schweigsamer als zuvor. Man munkelte von schrecklichen Dingen, die Honnes in Britana erlebt hatte von unvorstellbaren Kriegen, von Folter, vom Verlust guter Freunde. Erlebnisse, die seine Seele und seinen Körper gezeichnet hatten.
»Maddrax kam aus einer anderen Zeit zu uns«, sagte Honnes schließlich. »Aus der Zeit vor Kristofluu. Vielleicht stammt der Eisenvogelreiter, den Tones gesehen hat, ebenfalls aus dieser Zeit. Wir müssen ihm helfen.«
»Mein Herz will dir glauben, Honnes«, sagte der Kanzler. »Allein, mein Kopf sträubt sich gegen deine Worte. Wie kann jemand von einer Zeit in eine andere fliegen?«
»Keine Ahnung, Jannes. Was ich euch sage,
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