0350 - Die Rache der Großen Alten
hast, würdest du uns dann führen?«
Ali lächelte erstaunt. »Ich soll… also, ich soll …«
»Ja, du sollst an unserer Seite bleiben, mein Lieber. Natürlich nur, wenn du Lust hast.«
Er holte tief Luft. Seine Gedanken mußten sicherlich Purzelbäume schlagen, und der junge Mann vor uns geriet sogar ins Schwitzen.
»Ich weiß nicht so recht«, murmelte er. »Verdammt, ich meine, es ist überraschend.«
»Oder fürchtest du dich?« fragte ich.
»Vor wem?«
»Der Bai ist nicht gerade harmlos.«
»Wenn er wirklich zurückgekommen ist, wie es die alten Geschichten immer behaupten, dann müßte man ihn gesehen haben, wie ich meine. Aber das habe ich nicht.«
»Er ist in einer anderen Welt verschwunden.«
»Bei Aische?«
»Genau.«
Ali schabte über den Stoff seiner Mütze und drückte sie noch tiefer in die Stirn. Sein Mund bewegte sich, ohne daß Worte über die Lippen flossen.
Ich fing Leilas Blick auf. Am Ausdruck ihrer Augen erkannte ich, daß sie mich für verrückt hielt. Sie hätte sich auf so etwas nie eingelassen, das war ihr anzusehen. Ich aber dachte praktischer. So jung dieser Junge auch war, in der Stadt konnte er uns eine große Hilfe sein. Deshalb streckte ich ihm die Hand entgegen. »Schlägst du ein, Ali?« fragte ich ihn.
Er schaute für einen Moment auf meine Finger. In seinem Gesicht zuckte die Haut an den Wangen. Noch traute er sich nicht. Schließlich hob er die Schultern.
»Bon, Monsieur, ich bin dabei!« Fest umschloß seine Hand die meine, und mein Lächeln strahlte Ehrlichkeit aus. Nur Leila paßte es nicht. Als der Junge dabei war, die Säcke abzuladen, kam sie zu mir und flüsterte:
»Wenn das mal gutgeht, Sinclair. Wenn das mal gutgeht…«
***
Für Suko und seinen Partner Claude Renard war es eine Folter, obwohl man ihnen körperlich nichts zuleide getan hatte. Sie waren beide gefangengenommen und in eine Welt geschleppt worden, die für sie als Menschen das absolut Fremde und Grauenhafte bedeutete. Ob es Tag war oder Nacht, das alles spielte in dieser Welt keine Rolle. Die Kälte, die Wärme, nichts existierte, alles war gleich und auch das Licht.
Die Welt der grauen Schatten.
Alles um sie herum war in dunkelgraue Schatten gehüllt. Sie fingen sie ein wie ein Gespinst, und dieses Schattenlicht mußte die Kraft besitzen, Herr über ihre Sinne zu werden.
Bewegen konnten sich die beiden nicht. Ihre Glieder waren wie mit Blei gefüllt, und sie lagen an einem Ort, der eine heiße Angst in einem Menschen hochschießen lassen konnte.
Es waren zwei Astgabeln.
Nachdem Suko und Claude von dem Bai und dessen Reitern überwältigt worden waren, hatten diese Wesen sie durch das Tor in die andere Welt geschleppt, wo sich die geheimnisvolle Hängebrücke befand, die beide Dimensionen miteinander verband.
Wehrlos hatten Suko und Claude auf den Reittieren gelegen, waren in die dunkelgrauen Felsen geritten und auf zwei starken Astgabeln niedergelegt worden, die sich aus den harten, aber kahlen Zweigen der Bäume bildeten. Diese Gewächse standen dicht an einem bodenlosen Abgrund. Schief waren die Bäume gewachsen, und zwar so schräg, daß ihre langen Arme sich wie knorrige, verdorrte Finger über den Abgrund streckten, so daß die beiden Männer jeden Moment das Gefühl haben konnten, aus ihren Plätzen zu rutschen und in die Tiefe zu fallen.
Bisher hatte sich dieser Alptraum nicht erfüllt. Noch lagen sie still und warteten ab.
Am schlimmsten war für Suko der Psycho-Terror gewesen, dem man ihn ausgesetzt hatte.
In dieser Welt, und genau dort, wo sich die Brücke befand, war plötzlich ein Licht erschienen. Sehr hell, sehr klar und nur dort zu erkennen, wo sich der Anfang der Brücke befand.
Innerhalb des Lichtscheins war eine Gestalt erschienen. Ein Mann, den Suko sehr gut kannte, denn er war sein bester Freund.
John Sinclair!
Der Geisterjäger hatte es ebenfalls geschafft, diese unheimliche Welt zu betreten, aber es war ihm nicht mehr gelungen, Suko zu befreien, obwohl er sich sehr darum bemüht hatte.
John hatte sich sogar der Meute dieser Skelette gestellt und wie ein Wahnsinniger gegen sie gekämpft. Zu groß war dabei die Übermacht gewesen, und die Skelette hatten den Kampf des Geisterjägers durch ihren harten Einsatz beendet und John Sinclair zurückgeschlagen.
Er war erfolglos gewesen und hatte seine Welt wieder durch das Tor betreten können.
Für ihn also gab es noch Hoffnung, für Suko nicht. Er war und blieb ein Gefangener dieser schrecklichen Dimension.
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