0350 - Die Rache der Großen Alten
Auch ohne Stricke oder Fesseln.
Am schlimmsten für ihn war die absolute Leere. Er, ein Mensch mit Gefühlen, hatte sehr genau gespürt, daß er in einer Welt gefangen war, in der keinerlei Gefühle existierten. Hier gab es keine Liebe, keine Freunde, keine Herzlichkeit, nur die Kälte.
Es war nicht allein die Temperatur, diese Kälte kam von innen und umklammerte seine Seele, so daß es für Suko gleichzeitig zu einer psychischen Tortur wurde, hier zu liegen.
Da in dieser Welt keinerlei positive Werte existierten, konnten sich die anderen potenzieren und auch zu einem Ergebnis gelangen, das Suko als so schrecklich empfand.
Es war die Verlassenheit!
So schlimm, so groß, daß als eine zwangsläufige Folge davon die Depression kam.
Suko fühlte sich einsam wie nie zuvor in seinem Leben. In Wellen schlug die Depression in ihm hoch, und er spürte auch, wie es heiß in seiner Kehle aufstieg.
Es waren die Tränen, die sich einfach einen Weg suchten, um die Verlassenheit des Menschen auch nach außen hin zu dokumentieren. Suko hatte in seiner Heimat China eine harte Ausbildung hinter sich. Sein Körper war ebenso trainiert worden wie sein Geist.
Bisher hatte er sich all diesen Dingen durch seine innere Kraft entgegenstemmen können, das war nun nicht mehr der Fall. Zu groß war sein Dilemma geworden, und je mehr Zeit verging, um so größer wurde seine Mutlosigkeit.
Suko sah keine Chance mehr…
Er wußte auch nicht, ob Stunden, Minuten oder Tage vergangen waren. In dieser Welt gab es keine Zeit.
Sie war so kahl, so leer, so ohne Gefühl. Denn das mußte die Hölle sein, von der in vielen Religionen gesprochen wurde. Nicht das Feuer, das sich die Menschen in ihrer Fantasie ausgemalt hatten. Natürlich gab es das auch, aber das hier war schlimmer. Mit dieser Leere war, so paradox es Suko vorkam, Luzifers Welt gefüllt.
Nach langem Überlegen war er tatsächlich zu dem Entschluß gekommen, in diesem Bereich ein Gefangener zu sein.
Die gleichen Gefühle mußten auch seinen Partner quälen. Als Claude ihn ansprach, hörte er das Schluchzen aus seiner Stimme.
»Verdammt, wir kommen hier nicht weg.«
»Ja, das stimmt.«
»Und wie lange sollen wir noch warten?«
Suko schluckte, bevor er eine Antwort geben konnte. »Ich weiß es nicht. Zeit spielt hier keine Rolle.«
»Dann können wir eine Ewigkeit hier bleiben, wenn ich das so sehe«, flüsterte Claude.
»Darauf deutet einiges hin«, gab Suko zurück, obwohl ihm diese Antwort nicht leichtfiel.
»Du siehst also auch keine Chance?«
»Nein. Mein Freund hat es versucht…«
Claudes Lachen klang deprimierend. »Ja, ich habe es gesehen. Die Skelette waren stärker.«
»Leider.«
»Und wo befinden sie sich jetzt?«
»Ich habe sie nicht mehr gesehen«, erwiderte Suko. »Irgendwo im Grau dieser Welt werden sie sich verborgen gehalten haben.«
»Dann können sie wiederkommen.«
»Bestimmt.«
Claude sagte nichts mehr, auch Suko schwieg und gab sich ganz seinen deprimierenden Gefühlen hin. Er hatte nicht einmal große Angst, nur eben die Verlassenheit war es, die die Sache für ihn zu einem regelrechten Horror-Trip machte.
Er hatte seine Haltung nicht verändern können, weil ihm einfach die Kraft dazu fehlte. Irgendein Gift mußte sich in seinen Adern befinden.
Es hatte ihn so gelähmt, daß nur mehr seine Gedanken arbeiten konnten, was er als schlimm empfand.
Und so blieb beiden Männern nichts anderes übrig, als sich weiterhin in ihr Schicksal zu fügen.
Sie sprachen nicht mehr miteinander. Suko vernahm nur hin und wieder das Schluchzen seines Leidgenossen. Auch ihn überkamen in diesen Momenten die großen Depressionen, gegen die er sich ebenso wenig wehren konnte wie auch der Chinese.
Sie lagen beide in den Astgabeln dicht beieinander. Nur konnten sie sich nicht sehen, nur unterhalten und mußten mit ihrer schlimmen Verlassenheit allein fertig werden.
Und doch tat sich etwas.
Suko, der hin und wieder in die bodenlose Tiefe schaute, sah dort etwas aufglühen.
Einen winzigen rötlichen Punkt! Er wußte genau, daß das Auftauchen des Punkts etwas mit ihm und seinem Schicksal zu tun hatte.
Würde sich vielleicht etwas ändern? Suko hoffte es stark, denn er wollte nicht noch länger das Gefühl dieser Verlassenheit spüren, das immer stärker wurde.
Auch in einer Welt wie dieser konnte nicht alles gleichbleiben, da mußte sich etwas tun, und in dem roten Punkt, der allmählich aus der Tiefe stieg, sah Suko ein erstes Anzeichen.
Auch Claude Renard
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