0353 - Flucht vor dem Grauen
Ihnen aber kam es in diesem Fall auf die Pyramide an, wie auch dem Eisernen.
Die Antwort gab einer der stummen Götter. Sein Gesicht war vielleicht das älteste in der Reihe.
»Mein Sohn!«
Nicht nur der Eiserne zuckte zusammen, auch Kara und Myxin, denn die Stimme hallte durch die Schlucht. Und das Wesen hatte tatsächlich wie ein Vater mit seinem Sohn gesprochen.
»Er ist mein Vater!« hauchte der Engel, als er sich aufrecht hinstellte und in das Gesicht schaute.
»Aber wieso?« fragte Kara. »Sind es nicht alles deine Väter?«
»Nein, es gibt nur einen, der mich geschaffen hat, obwohl man sie durchaus als meine Väter bezeichnen könnte…«
Das verstanden Kara und Myxin nicht. Es war auch nicht nötig, daß sie es begriffen, denn der stumme Gott sprach wieder seinen Sohn an. »Du weißt, daß es schon fast vermessen sein kann, was du uns da zumutest. Wir sollen dir unsere Waffe in die Hand geben…«
»Um Hemators Welt zu zerstören!« rief der Eiserne laut. »So glaubt mir doch, ich bitte euch! Wir haben andere Welten vernichtet, aber auch uns sind Grenzen gesetzt. Die Pyramide kann die Zeiten innerhalb der Schattenreiche nicht nur überwinden, sie kann auch Grenzen hinter sich lassen, und das brauchen wir. Gib uns die Waffe, damit wir in Hemators Reich eindringen können, denn John Sinclair, unser gemeinsamer Freund, kämpft dort auf verlorenem Posten.«
»Weißt du das genau?«
»Fast. Aber kannst du, Vater, dir vorstellen, daß der Geisterjäger gegen den Zerstörer gewinnt?«
Das alte Gesicht im höchsten Berg zeigte Zweifel. Die Mundwinkel bewegten sich. Sie zuckten, und dann schüttelte der Große Alte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht.«
»Deshalb bitte ich dich ja, uns die so wertvoll gewordene Pyramide des Wissens zu überlassen. Wir wollen in Hemators Welt, um ihr ein Ende zu bereiten.«
»Das hast du schon sehr oft gesagt, mein Sohn, aber ich kann nicht allein entscheiden.«
»Wen mußt du fragen?«
»Da die Waffe sehr wertvoll und ungemein kostbar ist, müssen meine anderen Brüder zustimmen.«
Nach diesen Worten zeigte das Nicken der fünf übrigen an, daß der Vater des Eisernen Engels nicht gelogen hatte.
»Dann frag sie!« rief er. Verzweiflung klang schon in seiner Stimme durch.
Auch Kara und Myxin standen in dieser düsteren Schlucht wie auf glühenden Kohlen.
Der Vater des Eisernen drehte zwar nicht den Kopf, aber die drei gespannt wartenden Zuschauer hatten das Gefühl, als würde er dies tun. Seine Stimme kam nicht mehr von vorn auf sie zu, sondern war zur Seite gerichtet und schuf in der Schlucht ein hallendes Echo.
Leider verstanden Kara und Myxin nicht, was der stumme Gott fragte. Er redete in einer Ursprache, die wohl nur er und seine Brüder beherrschten.
Aber auch der Eiserne Engel. An seiner Haltung war zu erkennen, daß er genau aufpaßte.
»Was sagen sie?« wisperte Kara, als sie vernahm, daß auch andere antworteten.
Der Engel hob die Schultern. »Es ist schwer für meinen Vater, sie zu überzeugen.«
»Wieso?«
»Das müßt ihr verstehen. Sie können die Pyramide des Wissens nicht so einfach hergeben.«
»Aber es geht um sehr viel!« mischte sich auch Myxin jetzt ein.
»Das versucht mein Vater den anderen auch beizubringen.«
»Dann steht er auf deiner Seite?«
»Bestimmt.«
Damit hatten sich auch Karas und Myxins Fragen erschöpft. Antworten mußten jetzt von den stummen Göttern kommen.
Plötzlich war es soweit. Durch das Gesicht des Sprechers ging ein heftiger Ruck. Er hatte seine Augen so weit wie möglich geöffnet, und blickte zunächst seinen Sohn, danach dessen Begleiter an.
Noch nie hatten Kara und Myxin den Eisernen Engel unter einer so starken Spannung oder Erregung stehen sehen. Sein Blick war auf das Gesicht des Vaters fixiert. »Bekomme ich die Pyramide des Wissen?« hauchte er. »Wirst du sie mir geben?«
Der stumme Sott nickte zwar nicht, trotzdem hatten die drei das Gefühl, als würde sich sein in den Steinen abgemaltes Gesicht bewegen. Dabei bewegte er auch die Augendeckel, ein Zeichen, daß er und seine Brüder einverstanden waren.
»Ihr bekommt die Pyramide des Wissens!« fügte er noch als akustisches Versprechen hinzu.
Myxin und Kara sahen, daß die Erleichterung den Körper des Eisernen Engels durchströmte. Er atmete zwar nicht heftig ein oder aus, dennoch entspannte sich sein Körper, und als er den Kopf drehte, um die Freunde anzuschauen, schimmerten in seinen Augen die Tränen der Freude. Er ballte die gewaltigen
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