0355 - Die Bande der Nachzehrer
handelte.
Auch ich empfand es als eine Fügung des gütigen Schicksals, daß es aufhörte zu schneien, so wurde meine Sicht wesentlich besser, denn auch der helle Schnee trug dazu bei.
Ich erreichte den Waldrand ebenfalls.
Und hier veränderten sich die Spuren. Ich sah, daß Marek nicht auf dem direkten Weg in den Wald gelaufen war, sondern geschickt die einzelnen Baumstämme als Deckung ausgenutzt hatte. Ein sehr guter Plan, wie ich zugeben mußte, und ich nahm den gleichen Weg, wobei ich meine Füße in Mareks Spuren setzte.
Mir gefiel die Ruhe überhaupt nicht.
Sie hatte nichts Ehrfurchtsvolles an sich. Im Gegenteil, ich spürte ein gefährliches Flair und bekam ein ungutes Gefühl. Ich hörte eine sehr große Ladung Schnee von einem der Bäume donnern.
War das normal?
Glauben wollte ich es nicht, beeilte mich und verzichtete auf eine Deckung.
Sehr schnell erreichte ich den dichteren Teil des Waldes. Und genau dort, wo das Unterholz begann, hockte Zirka, der Anführer der Nachzehrer.
Ich sah nur seinen Rücken, einen gebeugten Kopf mit grauschwarzen langen Haaren, die bis auf den Rücken hingen. »Seine« Beine zuckten unaufhörlich.
Ich kannte die Beine und auch die Hose!
Marek hatte sie getragen.
Und der Nachzehrer würgte meinen Freund.
Um den Pfähler zu retten, gab es für mich nur eine Möglichkeit.
Ich mußte den Nachzehrer sofort erschießen.
Der Schnee gab gutes Büchsenlicht ab. Die Beretta hatte ich hervorgeholt, stützte die rechte Schußhand mit der linken ab und feuerte zweimal dicht hintereinander.
Die Echos der Schüsse rollten durch den Wald. Von den Zweigen und Ästen rieselte Schnee, das alles nahm ich auf, während ich auf den Nachzehrer starrte, der beide Kugeln voll hatte nehmen müssen, sich wie im Zeitlupentempo auf die rechte Seite warf, beide Arme dabei hob und sie zudem noch streckte.
So fiel er in den Schnee und versank darin. Ich hatte mich in Bewegung gesetzt und rannte auf Marek zu. Er lag bewegungslos, das Gesicht in den Schnee gedrückt.
Ruckartig riß ich ihn hoch, der Nachzehrer war mir jetzt egal. Ich reinigte das Gesicht meines Freundes, das so bleich aussah, als wäre er gestorben.
Aber er bewegte die Lippen.
Marek lebte.
Ich lehnte ihn gegen einen Baumstamm, ließ ihn dort sitzen und wandte mich dem Nachzehrer zu.
Er verging.
Von seinem Gesicht sah ich nicht mehr viel. Es war schon zu einer farblosen, stinkenden Lache geworden, in der die dunklen Haare schwammen und sich langsam bewegten.
Auch die Augen entdeckte ich. Sie zitterten in der Masse wie zwei dunkle Kugeln.
Wo die Lache sich mit dem Schnee vermischte, schmolz er weg.
Das stellte ich nur am Rande fest. Wichtig waren für mich die Kinder. Ich hatte bisher von ihnen nichts gesehen und begann mit der Suche.
Schon nach wenigen Schritten, ich hatte das Unterholz durchbrochen, entdeckte ich sie.
Sie saßen blaß im Schnee, schauten mich an und fragten: »Dürfen wir jetzt wieder nach Hause?«
»Ja«, erwiderte ich aufatmend. »Ihr dürft…«
Dann führte ich sie durch den Wald und erzählte ihnen etwas von Weihnachten. An die verfluchten Ghouls verschwendete ich keine Gedanken mehr…
Am nächsten Tag gingen wir wieder über den Weihnachtsmarkt.
Und diesmal ohne Angst.
Die Ereignisse hatten sich blitzschnell herumgesprochen. Marek und ich wurden gefeiert, während sich die beiden Brüder Stani und Marco die Welt aus der Zelle in der Präfektur anschauen konnten.
Marek hatte sich gut erholt. Ich wurde von ihm, den Polizisten und den beiden Kindern begleitet. Auch deren Eltern gesellten sich zu uns.
Wenn die Menschen vom Balkan feiern, dann feiern sie richtig.
Das merkte ich schon nach einigen Schritten. An jedem Stand mußten wir anhalten und trinken.
Es war ein Fest, wie ich es selten erlebt hatte. Ich sah bald keine Lichter mehr, kaum noch Schnee, sondern schüttelte nur Hände und hob das Glas.
Wie und wann ich ins Bett gekommen war und in welchem ich lag, wußte ich nicht. Angeblich war es das Zimmer der Koppecs gewesen.
Und wenn ich in einem Kuhstall meinen Rausch ausgeschlafen hätte, das wäre mir in dem Zustand kaum aufgefallen…
ENDE
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