0355 - Die Bande der Nachzehrer
und der nasse, getaute Schnee rann als Wasserstreifen an seinem Gesicht entlang.
»Ich kriege dich, verfluchte Bestie!« keuchte er. »Verdammt noch mal, ich kriege dich!«
Dünn erklang das ferne Wimmern der Kinder, und diese Geräusche beflügelten Marek noch. Er ahnte, daß Zirka seine Opfer mit in das schreckliche Grab nehmen wollte, denn dort konnte er sich in dem unterirdischen Labyrinth der Gänge verstecken.
Für den gehandicapten Marek wurde das Laufen immer schwerer, als er die Stellen erreichte, wo zuvor kaum Menschen hergegangen waren, denn dort lag der Schnee noch in so dicker Schicht, wie er auch vom Himmel gefallen war.
Und hier waren auch die Spuren deutlicher zu erkennen. Marek schaute zu Boden. Er sah, daß der Nachzehrer die Kinder mitgeschleift haben mußte und sogar hochgehoben hatte, denn hin und wieder waren nur die Abdrücke der Bestie zu sehen.
Vor denen konnte man sich fürchten. Sie waren verdammt groß, breiter und länger jedenfalls als menschliche Füße.
Frantisek kämpfte sich weiter. Es war ihm auch egal, daß er sein Bein nachzog, die Kinder mußte er bekommen.
Der Pfähler erreichte den Waldrand. Auch zwischen den Bäumen lag der frische Schnee wie ein weißer Teppich. Seine Farbe machte auch den Wald in der Finsternis auf gewisse Art und Weise hell und licht, so daß Marek etwas erkennen konnte.
Er sah die drei, und er hörte sie.
Die Kinder schrien jetzt lauter, ihre Angst mußte sich gesteigert haben, und auch Mareks Angst wurde größer, da Nachzehrer keine Rücksicht kannten. Sie nahmen jedes Opfer und machten auch vor Frauen oder Kindern nicht Halt. Und dieses Wissen wühlte den Pfähler auf. Es brachte ihn innerlich zum Zittern, er bebte regelrecht, aber er konnte sich keine Pause erlauben und lief hinkend weiter.
Auch Marek verschwand zwischen den Bäumen. Nur ging er raffinierter vor als der Nachzehrer. Frantisek wußte nicht, ob die Bestie den Verfolger bemerkt hatte. Da er trotz allem sich noch als Optimist einstufte, ging er davon aus, daß dieses nicht so war.
Deshalb wollte er auch jetzt nicht entdeckt werden und benutzte die dunklen Stämme der Bäume geschickt als Deckung.
So kam er näher.
Von der Bestie sah er nichts. Er hörte auch die Kinder nicht, und in seinem Magen bildete sich ein Klumpen. Sollte der Nachzehrer die Kleinen etwa…
Marek dachte nicht weiter. Unter tiefhängenden Zweigen her fand er seinen Weg in die Tiefe des Waldes hinein, ohne allerdings verdächtige Geräusche zu vernehmen.
Manchmal, wenn sich der Wind in den Kronen der Bäume fing, wehte er Schnee nach unten. Das weiße Zeug traf den Nacken des schleichenden Mannes oder fiel auf seinen gekrümmten Rücken.
Da Marek nicht mehr so schnell ging, hatte sich auch sein Atem wieder beruhigen können, und ihn umgab die Stille des Waldes. Der nahe Weihnachtsmarkt schien in einer kaum meßbaren Ferne verschwunden zu sein, so weit lag die Wirklichkeit hinter dem Pfähler.
Je tiefer er in den Wald eindrang, um so dichter wuchsen die Bäume zusammen.
Er achtete auch wieder auf Spuren im tiefen Schnee, entdeckte keine und lief dorthin, wo sich Unterholz braun und kahl aus der hellen Schneematte reckte. Es wuchs zwischen den Stämmen gewaltiger Bäume mit schneeüberladenen Kronen.
Kaum hatte Marek den Platz erreicht, als es geschah. Zuerst kam der Schnee, dann der Nachzehrer.
Marek schrie, als der Körper plötzlich auf ihn wuchtete und ihn so zu Boden drückte, daß er mit dem Gesicht in den tiefen Schnee fiel und keine Luft mehr bekam.
Obwohl es ihm nicht gutging, wußte er doch, wie der andere ihn überlistet hatte.
Er hatte im Geäst eines der starken Bäume gelauert und sich kurzerhand fallen lassen.
Der alte Marek war chancenlos. Nicht allein, daß sein Gesicht im Schnee steckte, er fühlte auch gleichzeitig die kalten Totenklauen des Nachzehrers über seinen Rücken hochlaufen und in die Nähe seines Halses gelangen. Gleichzeitig nahm der Druck auf seinen Körper zu, denn auch der Nachzehrer besaß das Gewicht eines Menschen.
Mareks Lebensuhr lief ab…
***
Zufall, Glück, Spürnase – vielleicht kamen bei mir alle drei Dinge zusammen, jedenfalls hatte ich den richtigen Weg gefunden und konnte mich auch anhand der Spuren orientieren.
Sie führten in den Wald.
Aber nicht nur die Abdrücke der Kinder und der Bestie sah ich, auch die des Menschen, der die drei verfolgt hatte, und ich konnte mir vorstellen, daß es sich bei diesem Verfolger um meinen alten Freund Marek
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